ADVENTSKALENDER 2024 mit Kurzgeschichten

Alles was uns im Leben begegnet und inspirierte

Re: ADVENTSKALENDER 2024 mit Kurzgeschichten

Beitragvon Peter » 09.12.2024, 22:15

10. Dezember:

Der Flaschensammler

Auf dem Weg zum See, kurz vor meinem Parkplatz liess mir ein älterer Radfahrer die Vorfahrt. Sein Rad war vollgepackt mit Taschen und Tüten voll leerer Pfandflaschen.
Gerade eingeparkt, schiebt der Mann sein Rad den steilen Berg hinauf. Hier spreche ich ihn freundlich an und so erfahre ich, dass er täglich die Flaschen entlang des Sees einsammelt und diese dann bei den Supermärkten einlöst. Das Geld fliesse den SOS-Kinderdörfern zu. Als ich erwähne, dass deren Zentrale in der Renatastrasse in München sei, wird er hellhörig und fragte mich woher ich das wisse. Daraus entwickelte sich ein interessantes Gespräch und ich erfahre, dass er ein erfolgreicher Industriekaufmann war und nach dem Tod seiner Frau einen neuen Lebensinhalt suchte. Dieser siebzigjährige Mann wollte nicht untätig bleiben und so fand er diese ungewöhnliche Altersbeschäftigung zugunsten eines sozialen Zwecks und so kann er jeden Monat rund Euro 50 an SOS-Kinderdorf überweisen. Über diese Tätigkeit hält er sich als Radfahrer fit und kommt ins Gespräch mit Menschen aller sozialen Schichten. Obwohl er sehr ordentlich angezogen ist und als Radfahrer einen Schutzhelm trägt, wird er von manchen Spiessern mit Unverständnis als Penner angesehen. An weltoffenen Mitmenschen hat er seine Freude, da diese ihn verstehen und seine Aktion auch ein wenig bewundern. So wollte einer schon eine Presseveröffentlichung über ihn einleiten, aber das will er nicht. Denn ihm ist seine Freiheit wichtig und will nicht in ein neues Erfolgskonzept eingebunden sein. Einfach aufhören können wann er will und sich nicht verpflichtet fühlen müssen.
So macht er seine täglichen Radrunden mit Freude, sammelt unterwegs alle Flaschen ein, welche andere Menschen achtlos weggeworfen haben, geniesst die Gespräche mit weltoffenen Menschen, die seinen Weg kreuzen und ist mit sich zufrieden wenn er abends in seinem Bett liegt und die Tageserlebnisse reflektiert.
Wir sprachen über Gott und die Welt, so einfach spontan an der Strasse und es war eine erhellende Begegnung. Menschen wie er sind kleine Juwelen im Alltag, Perlen welche man meist übersieht. Es gibt sie überall und sie begegnen einem, wenn man wach dafür ist.

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Re: ADVENTSKALENDER 2024 mit Kurzgeschichten

Beitragvon Peter » 10.12.2024, 22:31

11. Dezember:

Im Rückspiegel

Ich war nur kurz auf der Post und fahre wieder ein in die Garage. Eine schöne Musik läuft im Autoradio. Ich bleibe noch eine Weile sitzen und lausche. Mein Blick fällt in den Rückspiegel und sehe eine Nachbarsfrau beim Frühjahrsputz im Garten. Dahinter in der Sackgassenstrasse spielen drei Kinder und fahren auf ihren Dreirädern. Zwei hübsche Mädchen und ein Junge. Ich sehe sie sich bewegen, beobachte deren Rollenspiele im Verhalten. Sehe plötzlich junge Frauen und Mütter, sehe sie rollen auf der Strasse des Lebens, sehe sie mit zwanzig, dreissig, vierzig, .... , sehe sie als Mütter ihrer Kinder, sehe siehe als weisse Frauen und sehe den Greis in ihnen. Alles ist auf einmal da. Dort im Rückspiegel sehe ich das ganze Leben der Kinder vorwärts wie rückwärts, was gerade ist, was wird und ... .

Im Dorf war heute eine Beerdigung, viele schwarz bekleidete kamen aus der Kirche, angeregt redend miteinander. Dem Tod eines Angehörigen, eines Freundes oder Bekannten ganz nah, freuten sie sich miteinander des Lebens. Vielleicht war diese kurze Begegnung der Anlass für meinen tieferen Blick in den Rückspiegel. Zurück was hinter mir ist und Wirklichkeit sich vorwärts bewegt. Weg von mir, weil ich nach hinten blicke, durch ein Spiegel ins Jetzt.

Alles ist gleichzeitig da, die Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Es ist nur eine Frage des Blickes wohin mein Auge sehen will. Durch die Windschutzscheibe auf den Weg vor mir, durch den Rückspiegel in das, was sich hinter mir bewegt oder im Auto versunken sitzend, was hier in mir ist. Jetzt ist, mit schöner Musik.
Manchmal fahre ich so in meinem Gefährt, vor mir die Strasse, hinter mir die Strasse, alles schnell gleitend und doch sehe ich nicht die Bewegung. Sitze nur im Gefährt und gleite durch das Land, das Leben und das was da an mir vorbei zieht.

Ich sitze da und blicke durch ein Fenster. Dem Fenster der Welt, die ich erlebe und neu entdecke, die wandert an mir vorbei.
Nur im Rückspiegel sehe ich was war und manchmal was ist, was kommt und vergeht.

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Re: ADVENTSKALENDER 2024 mit Kurzgeschichten

Beitragvon Peter » 11.12.2024, 21:47

12. Dezember:

Weihnachten in meiner Kindheit

In der Vorweihnachtszeit duftete es herrlich aus der Küche, wenn Mutter Stollen und die verschiedensten Plätzchen backte. Ich durfte mit Blechformen Sterne und andere Figuren ausstechen, naschte vom Teig und durfte die nicht optimal gelungenen oder zerbrochenen Plätzchen frisch aus dem Ofen testen. Da ich schon immer ein süsses Naschmaul war, war diese Backzeit herrlich verlockend. Die fertigen Plätzchen wurden Sorte für Sorte in Blechdosen geschichtet und dann versteckte diese Mutter vor mir. Aber meine Spürnase fand sie doch im Kleiderschrank hinter der Wäsche versteckt und wenn sie nicht aufpasste stibitzte ich ein paar daraus. Immer so, dass sie den Verlust nicht gleich merken konnte. So war diese Vorweihnachtszeit voller Überraschungen und meine Ungeduld auf das Christkind wurde immer größer. Am Heiligabend musste ich in meinem Zimmer bleiben und ab dem späten Nachmittag war das Wohnzimmer verschlossen. Da richteten meine Eltern den Christbaum auf und dekorierten diesen mit bunten Kugeln, Strohsternen, kleinen Rauschgoldengeln, Lametta und roten Kerzen. Später kamen noch Wunderkerzen dazu. Dann wurden auf dem Wohnzimmertisch die Geschenke aufgebaut. Ich musste warten und versuchte ungeduldig bis zornig durch das Schlüsselloch zu spicken. Irgendwann schimpfte ich. “Das scheiss Christkind kann mir gestohlen bleiben.” Oh, war dieses Warten fast unerträglich schlimm.
Irgendwann, endlich war es so weit, ich musste mir was schönes anziehen und dann öffnete sich die Wohnzimmertüre. Im Dunkeln ein wunderschöner Baum mit flackerten Kerzen. Mein Vater spielte auf dem Klavier und ich musste mit ihm und Mutter einige Weihnachtslieder singen. Dazwischen zündete Mutter die Wunderkerzen an und es glitzerte heimelig wunderbar. Erst danach durfte ich meine Geschenke auspacken und meine Eltern beobachteten meine Freude. Nun war mein Traum perfekt, war erlöst vom langen Warten und genoss die Spiele, den neuen Pullover und vorallem die Nürnberger Lebkuchen, den Stollen und die Plätzchen.
Jetzt, wo ich das niederschreibe bin ich wieder mitten drin, sehe den Raum, den Christbaum, Vater am Klavier, die ganze heimelige Atmosphäre und mir wird etwas wehmütig im Herzen. Wie viel Liebe steckte da drin und welch eine Freude hat dies in mein Kinderherz damals gebracht.
Meine Eltern sind längst beide verstorben, aber jetzt in dieser Erinnerung sind sie lebendig in mir, so als würden sie neben mir stehen, mich anlächeln und mir ein Taschentuch reichen, meine feuchten Augen zu trocknen.
Weit über sechzig Jahre liegen nun zurück, aber mir kommt es wie gestern vor. Denn das tiefe Gefühl von Freude ist immer noch in mir da.

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Re: ADVENTSKALENDER 2024 mit Kurzgeschichten

Beitragvon Peter » 13.12.2024, 02:17

13. Dezember:

Verwirrende Türen

Der Raum ist gross, sehr gross und weit. An den acht Wandseiten sind viele Türen, dicht nebeneinander. Grosse und kleine, runde, viereckige und dreieckige. Bunte Türrahmen, graue Holzbalken, silbern schimmernde Metallzargen, vergoldete Türklinken, mit Diamaten besetzte Schwellen, mit Muscheln tapezierte Türen. Eine Vielfalt an Farben und Formen. Jede Tür ist anders, jede schöner, als buhlten sie darum, durchschritten zu werden.
Mitten im Raum neun Stühle, im Kreis ausgerichtet, von jedem ein anderer Ausblick auf bunte Türen. Von oben eine lichtdurchflutete Glaskuppel, die Sonnenstrahlen berühren die Stühle und lassen Diamanten, Gold und helle Farben glitzern. Ein Farbenmeer voll Reizen auf den Betrachter, der den Raum durch eine Tür betreten hatte.
Rosalie steht wie geblendet mitten im Raum, versucht zu erkennen, wo sie ist. Zögerlich nimmt sie auf einem der neun Stühle Platz. Blickt auf die Türen in dem Oktagon, weiss, dass sie eine nun durchschreiten muss. Aber welche? Die Auswahl ist gross. Sie hört in sich die ferne Stimme von Alfred, der ihr sagte, dass nur eine Türe ihre sei. Sie müsse diese wählen und dahinter wäre ihr Weg, der einmalig wäre, nur für sie. Die Stimme ist weit weg, sie hört sie noch kaum, denn die Pracht des Raumes übertönt alle Stimmen, die fernab gesprochen sind.
Auf dem Stuhl sitzend sieht Rosalie auf vier Wände des Raumes, auf achtundachtzig Türen, deren Pracht sie blenden. Jede ist schöner und lockt zum Beschreiten. Die Augen sehen alle Verlockungen, Gold und Diamanten glitzern, die Farben beginnen zu tanzen, einige Türen bewegen sich wie Münder, verformen sich zum verlockenden Kuss. Einige öffnen sich kurz, lassen Licht und Farben durchblitzen. Verlockende Welten dahinter vermutend. Ein Rausch für die Sinne, verschlingend das Menschlein da sitzend im Kreis.
Leise in sich die Stimme von Alfred, “geh nur den Weg deines Herzens”. Sie hört die Worte in sich und schliesst die Augen. Nun blickt sie auf sich, sieht Alfred’s Lächeln, hört ihr Herz pochen. Der ganze Farbenzauber ist entschwunden. Sie spürt wieder sich. Was wollte sie nun, welchen Weg nun beschreiten? Die Verlockungen des Goldes kannte sie, die Diamaten hatten sie geziert, über Muscheln war sie millionenfach geschritten, alle Farben hatten ihr Kleid geziert, in tausend Spiegel hatte sie geblickt. Alles war schön, alles reizvoll lebendig. Aber tiefer war Alfred. Die Liebe zu ihm war erfüllend, jenseits von Farben, Diamaten und Gold. Ihn wollte sie wieder finden, mit ihm wollte sie gehen. Ihm, der in grauem zerknitterten Umhang das Oktagon umgangen, der über Steine und Sand einen anderen Weg wählte als Rosalie. Warum hatte sie den Anderen gewählt, warum das Oktagon betreten? Sie wusste es nicht mehr, es fiel ihr nicht mehr ein. Aber in sich sah sie Alfred schreiten, barfuss leicht, fast schwebend über Sand und Fels. Sie sah ihn lächeln, zufrieden lächelnd, er zwinkerte ihr mit den Augen zu, aber er schwieg. Wie sollte sie ihn finden, welche Türe führte zu ihm ?
Sie spürte in ihr Herz und sah darin Alfred und sie sah die Farben seines einfachen Umhangs, dahinter alle Farben der Welt. In diesem Bild verharrend blinzelten ihre Augen vorsichtig in den Raum zu den schreienden Farben, die grösser und grösser werdend versuchten, sie zu verschlingen. Dazwischen ganz klein, eine einfache kleine Türe in grauem Holz, alt und unscheinbar. Eine knorrige Türe mit verrostetem Türgriff, fast nicht zu erkennen in der Vielfalt sich prostitutierender Farben und Lichtreize.
Ganz vorsichtig auf diese Türe konzentriert, schritt Rosalie vorwärts, keinen Moment abgelenkt von den grellen Farben, die nun auch noch betörend sangen. An all dem vorbei ging sie zu Alfred, der Türe da, die knorrig verborgen war hinter all dem bunten Schein. Sie mußte sich bücken und kräftig gegen die alte Türe drücken. Dahinter war es dunkel und sie kroch hinaus, tastete sich vorwärts, unendlich vorwärts. Erschöpft legte sie sich nieder und schlief ein.
Als sie erwachte, war er vor ihr, sie erkannte ihn wieder. Aber er war anders. Alfred war nun nicht mehr Alfred, aber er war da und sie legte sich zu seinen Füssen. Er lächelte, denn sie war da. Er streichelte sie sanft, nahm sie auf den Arm und wiegte sie. Er sah ihr Lächeln und wusste.

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Re: ADVENTSKALENDER 2024 mit Kurzgeschichten

Beitragvon Peter » 14.12.2024, 00:15

14. Dezember:

Die Kalenderfrau

Fast ganz hinten in Halle 3 der Leipziger Buchmesse, knapp vor der Messebuchhandlung war der Gemeinschaftsstand des Arbeitskreis kleiner unabhängiger Verlage. Dort wurden auch Restbestände von Kalendern des bereits laufenden Jahres günstig verkauft.
In diesem Gemeinschaftsstand war das Regal des Miteinander Verlags, der auch meine zwei Bücher mitpräsentierte. Ich war zeitweise dort und sass auf einem Stuhl davor. Von hier aus liess sich das bunte Treiben beobachten und ich konnte auf Interessenten meiner Bücher persönlich eingehen. Genau neben diesem Bücherregal stand am Boden eine Metallkiste mit diesen verbilligten Kalendern. Begierig suchten die Besucher darin und fanden ihre Schnäppchen.
Eine kleine Frau mit pfiffigem Gesicht war hier Stammgast und kramte immer wieder in der Kiste. In ihrem Eifer legte sie ohne Nachzudenken einige Kalender vor unserem Bücherregal aus und verdeckte damit einen Teil unserer Buchpräsentation. Da sich dies zeitlich ausdehnte reagierten wir leicht verärgert aber zunächst höflich und baten darum, dass sie sich einen anderen Platz suche. Doch diese ignorierte völlig unverständlich unsere Bitte, worauf ich etwas deutlicher wurde. Sie erwiderte mit kecken Sprüchen und es dauerte eine Weile bis sie begriff, dass sie bei und unerwünscht sei und wich zu einem Tisch und Stühlen in der Nähe aus.
Dort blätterte sie recht umständlich in den Kalendern weiter. Der Sprecher des Arbeitskreises bemühte sich nun unverzüglich um diese nervige Frau, die er als Stammgast schon seit Jahren kannte.
Befreit von ihrer lästigen Nutzung unseres Bücherregals lachten wir herzlich über diese komische Frau, den nun war der Sprecher des Arbeitskreis voll auf mit ihr beschäftigt.
Etwas später kam sie noch mal zu uns und entschuldigte sich auf ihre trockene Art und ich zeigte ihr mein Lachen über ihre Originalität. Für sie war das vollkommen in Ordnung, da sie damit Humor in unseren Alltag brachte.
Am nächsten Nachmittag war sie wieder da und kramte erneut in den Kalendern. Ein älteres Ehepaar, pensionierte Kunsterzieher, hatten sich mehrere Kalender reserviert. Sie befand diese schön und versuchte nun diesen Beiden einige ihrer ausgewählten Kalender abzuluchsen. Die beiden Alten erregten sich über deren Dreistigkeit und so war die Kalenderfrau erneut Gesprächsstoff um uns herum. Mit insgesamt acht Kalendern zog sie irgendwann von dannen und der Sprecher des Arbeitskreis Kalenderverlage schlug drei Kreuze. Seit zehn Jahren kenne er nun diese Kundin und wenn diese noch vier Jahre länger käme, könne er sich einweisen lassen, frotzelte er. Als die Messe beendet war reagierte er aufatmend, da die kleine Frau sich nun auch aus seinem Bannkreis entfernt hatte.
Als ich die Halle verliess traf ich sie noch einmal an einem anderen Verlagsstand und dort kramte sie in den Resten eines im Abbau befindlichen Standes. Was mochte sie da noch suchen, welchen Schätzen jagte sie noch nach? Was filtrierte sie alles aus der Vielfalt der Bilder und Texte? Mir schien sie sammelte in zwei Märztagen die Impulse für das ganze restliche Jahr. Sie war an der unerschöpflichen Quelle von Sprache und Kreativität. Auf ihre direkte burschikose Art bohrte sie im breiten Angebot wie ein Holzwurm im dicken Gebälk. Denn sie bohrte Löcher in die Menschen, sägte an den Nerven und erzwang sich humorigen Respekt.

Oft versuche ich hinter die Fassade der Menschen zu blicken, um deren Beweggründe zu verstehen. Doch bei dieser Frau waren wir alle am rätseln, spotteten etwas über ihre derbe Art, begriffen nicht recht die Motivation ihres beharrlichen Treibens. War dies geistig umnachtet, einer etwas neben sich stehenden Person oder einfach nur eine urige Triebkraft sich selbst zu entdecken in den Bildern. Die eigene Kreativität zu entdecken, die Weiblichkeit hinter ihrer burschikosen Fassade. Selbstfindung auf diese ganz spezielle Art?
Ich konnte es nicht ergründen, doch blieb mir dieses Original in wacher Erinnerung, mehr als tausend andere im Treiben dieser grossen Messe. Dabei war sie von kleiner Statur, aber voller Energie und von überaus hartknäckiger Natur. Ein Energiebündel auf der Suche nach sich selbst, auf urige Art wie es kauzige Originale an sich haben. Sie nerven zwar manchmal, doch prägen sie die Erinnerung in uns, da sie Unikat sind, einmalig in ihrer Art.
Solche Menschen fallen auf, weil sie sind wie sie sind und sich nicht auflösen in der angepassten Masse. Sie provozierte Gefühle in uns, Verwunderung, Ärger, Lachen und vorallem Fragen. Was diese eigenartige Frau alles in uns bewirkte, gedanklich in Bewegung gesetzt, einfach weil sie anders war, als wir es gewohnt sind.

Peter H. Burger
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Re: ADVENTSKALENDER 2024 mit Kurzgeschichten

Beitragvon Peter » 15.12.2024, 00:12

15. Dezember:

Gleiches Recht für alle

Komme gerade von einer Vorstellung des Showcircus FlicFlac von Pforzheim und sehe kurz vor Mitternacht in der Ferne schon fast das Stuttgarter Kreuz. Jäh muss ich abbremsen, Warnblinkleuchten zeigen einen Stau an. Zwanzig Autos vor mir, vor einem grossen Sattelzug hat sich etwas ereignet. Viele Sirenen heulen auf, Rettungswagen, mehrere Feuerwehren, Abschleppfahrzeug, Polizei, Sachverständiger, alle bahnen sich in der Mitte zwischen wartenden Autos einen Weg zur Unfallstelle. Plötzlich auch zwei Dienstwagen der Baden-Württembergischen Landesregierung mit Blaulicht. Doch auch diese müssen vor der Unfallstelle stoppen und sich an den Strassenrand stellen. In einem dieser Dienstwagen sehe ich Ministerpräsident Günter Oettinger sitzen. Ein schmächtiger Mann, müde und blass nach einem wohl anstrengenden Tag. Auch er muss darin warten, bis der Unfallverlauf geklärt ist. Ein PKW ist aus unerklärlichen Gründen gegen die Leitplanke in der Mitte der Autobahn geknallt und hat sich dann mehrfach überschlagen, liegt nun am Strassenrand auf der Seite. Ein Wrack für den Autofriedhof oder für den Ersatzteilmarkt in Polen. Den Fahrer hat es anscheinend rausgeschleudert, denn er fehlt und wird nun von Feuerwehrmännern mit Taschenlampen grossräumig gesucht. Über die angrenzenden Felder, bis hin zu in der Ferne sichtbaren Häusern wird ausgeleuchtet. In der herbstlich kalten Nacht, kann ein unter Schock stehender Mensch noch weit laufen, bevor dieser zusammenbricht.
Ein Grossaufgebot an Helfern sichert die Unfallstelle. Vor einem rotweissen Begrenzungsband stehen viele Autofahrer diskutierend auf der Autobahn, auch die Fahrer der Dienstwagen der Parlamentarier. Günter Oettinger nutzt die späte Stunde mit Arbeit, macht sich Notizen und blickt auf Fernsehmonitore in dem mit allen Vorzügen ausgestatteten Mercedes. Andere Autofahrer nicken in ihren Sitzen ein. Keiner weiss wie lange dieser Stau noch andauern wird. Ein Polizist spricht von ein bis zwei Stunden.
Eineinhalb Stunden später beginnt ein Feuerwehrfahrzeug zu rangieren und der Fahrer des Ministerpräsidenten steigt in sein Fahrzeug. Ich frage eine Polizistin: “Ist das nun nur für Oettinger oder alle?”
“Gleiches Recht für alle!” klingt es freundlich aus ihrem Mund und über Lautsprecher ordnet sie die Reihenfolge der Weiterfahrt an. Nur wenige Minuten später passiere auch ich die Unfallstelle. Der Ministerpräsident hat höchstens fünf Minuten Vorsprung. Tröstlich, dass Gross und Klein mit gleichem Recht behandelt wurden, wenigstens hier war die Parität gewahrt.

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Re: ADVENTSKALENDER 2024 mit Kurzgeschichten

Beitragvon Peter » 15.12.2024, 23:33

16. Dezember:

Trixi

Mir fiel dazu gerade wieder ein Erlebnis ein, als ich noch ein Kind war und wir in dem Holzhaus wohnten.
In der Nähe meiner Tante in der Trautweinstrasse wohnten Angehörige der US-Streitkräfte, welche zurück in ihre Heimat durften. Sie hatten einen Cocker-Spaniel, der nicht mit konnte und sie überlegten diesen zu erschiessen, wenn sich niemand dafür finden würde. Ich erfuhr davon und bettelte solange bei meinen Eltern bis "Trixi" zu uns kam. Als sie ankam sauste sie in voller Begeisterung die Treppen hoch und ich bekam mit ihr eine wunderbare Freundin. Da sie aber auch im Garten gerne Löcher buddelte, was meiner Mutter nicht gefiel, schauten sich meine Eltern nach einem anderen Platz um und fanden diesen bei einer Familie Zeller in in der Erpftinger Strasse. Dort durfte ich dann Trixi immer besuchen und ich sass oft bei ihr.
Dann wurde mein Vater nach Neu-Ulm versetzt und durch den Umzug ging der Kontakt zu Trixi verloren. Aber ich dachte immer an sie. Als ich Jahre später wieder mal nach Landsberg kam, ging ich zu dem Haus hin wo Trixi lebte und ein laut bellender Hund kam mir entgegen. Ich sprach Trixi an und konnte sie sofort über den Zaun hin streicheln und sie bellte nicht mehr, sondern begrüsste mich schwanzwedelnd. Die Besitzerin kam erregt aus dem Haus und rief warnende Worte aus, da sie mich nicht erkannte. Denn Trixi wurde oft von vorbeilaufenden Schülern geneckt und hatte schon einigen böse in die Finger gezwickt und gebissen.
Mich erkannte Trixi sofort an meiner Stimme und der alte Zustand war wieder da und es wurde ein wunderschöner Tag für mich mit Trixi.
Dann verging wieder eine lange Zeit bis ich wieder dorthin strebte. Da erfuhr ich dann, das wenige Wochen zuvor Trixi von einem gehässigen Menschen vergiftet worden war, der entsprechende Köder über den Zaun geworfen hatte.
Wenn ich an Trixi denke, wie jetzt gerade in diesem Moment, da wird es mir weich ums Herz und ich bin wieder in dieser besonderen Liebe zwischen Trixi und mir. Eine Erfahrung von Liebe, welche mich tief berührte. Eine besondere Seelenbegegnung welche ich nie vergessen werde.

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Re: ADVENTSKALENDER 2024 mit Kurzgeschichten

Beitragvon Peter » 16.12.2024, 22:42

17. Dezember:

Ein jugendlicher Charmeur

Der Zirkus ist in der Stadt und die jungen südländischen Clowns nutzen nach der Vorstellung eine nahe Disco und bezaubern darin junge Damen und tragen diese auf ihren Händen. Am nächsten Tag rufen die verliebten Mädchen beim Zirkus an und wollen unbedingt einen der jungen Charmeure wieder treffen. Nur mit Mühe gelingt es der Circusfrau einer Neunzehnjährigen klar zu machen, dass der grossgewachsene Charmeur erst 15 Jahre alt ist und sie keine Liebschaft zu einem Minderjährigen vermitteln wird.
Der junge Clown nimmt es leicht. In seinen Augen blitzt es verschmitzt. Er ist bereit zu neuen Abenteuern und wünscht sich wohl nichts mehr, als schnell volljährig zu werden.
Ich kenne den Jungen, seinen älteren Bruder und die Eltern. Sie sind brillante Clowns und der Schalk ist allen anzusehen, die Liebe zum Leben geniessen sie sehr. Südländisch leicht, temperamentvoller Charme und Witz scheint angeboren zu sein. Kein Wunder, dass viele junge Frauen darauf fliegen und gar nicht sehen wie jung dieser hübsche hochgewachsene Clown in Wirklichkeit noch ist.
So treten die Träume weit über das Spiel in der Manege hinaus ins Leben, lösen dort neue Träume und Wünsche aus, die tief hineinführen in das immer wiederkehrende Spiel des scheinbar leichten Lebens. Wer will nicht Clown sein dürfen, wieder unbeschwertes Kind im Spiel sein, in der Liebe und in den Träumen von Glück.

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Re: ADVENTSKALENDER 2024 mit Kurzgeschichten

Beitragvon Peter » 17.12.2024, 23:23

18. Dezember:

Engel der Nacht

Gestern abend fuhr ich durch die Höri in Richtung Stein am Rhein, wollte den Schweizer Circus Stey besuchen. Zwischen Iznang und Gundholzen knallte es plötzlich, als würde der Motor auseinander fliegen. Tatsächlich war es der Reifen vorne rechts. Ein neuer nur drei Monate alter Winterreifen knallte bei 100 km/h weg. Mit Müh und Not kam ich noch bis zu der Einfahrt zu einem Feldweg. Da stand ich nun in völliger Dunkelheit, nur die Warnblinkleuchte an, ohne Handy dabei und stiess ein Stossgebet zum Himmel.
Einige Autos fuhren vorbei, bis ein Auto gegenüberliegend abbog, wo eine Strasse zu edlen Seevillen führte. Das Auto hielt und ein Mann fragte ob ich ein Problem habe. Als ich ihm mein Problem in völliger Dunkelheit schilderte, fuhr er herüber und brachte Licht ins Dunkel und half mir beim Radwechsel. Nur sassen die Radmuttern so fest, dass es mein Radkreuz nicht schaffte. Nun telefonierte er für mich, rief bei einer Motorradwerkstatt in Gundholzen an. Wir fuhren dort hin und bekamen problemlos ein besseres Radkreuz mit Verlängerungsrohr ausgeliehen. Das Auto meines Helfers war sehr edel und ich erfuhr, dass er in leitender Position im Versicherungsbereich tätig sei und daher auch viel unterwegs sein muss. Ein angenehmer Mann mit Stil.
Mit dem besseren Werkzeug klappte der Radwechsel und er half dabei tatkräftig mit. Er brachte auch das Radkreuz in die Motorradwerkstatt zurück und wollte nichts von mir annehmen. Doch schenkte ich ihm ein Exemplar meines Märchenbuches „Geheimnis des Teufelsberg“ als idielle Gabe. Er freute sich und fuhr nachhause.
Ich dankte meinem Schutzengel für diesen grossartigen Helfer Claus R., einen echten „Engel der Nacht“, welcher mir nur eines mit auf den Weg gab: „Wenn ein anderer eine Panne hat, dann helfen Sie!“

Nun war es zu spät für den Circusbesuch und mit dem Ersatzrad fuhr ich heimwärts. War sichtlich froh, als ich unbeschadet das Auto in die Garage fuhr. Leider keinen Circus gesehen, aber wenigstens heil und ohne grössere Komplikationen wieder heimgekommen.

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Re: ADVENTSKALENDER 2024 mit Kurzgeschichten

Beitragvon Peter » 18.12.2024, 21:52

19. Dezember:

Eine besondere Weihnachtsgeschichte

Vor bald vierzig Jahren erlebte ich diese weihnachtliche Geschichte, die ich hier nun erzähle.
Ich lebte damals im Markgräflerland südlich von Freiburg mit meiner damaligen Frau Monika in einem schönen Haus mit verstecktem Grundstück. Wir hatten einen Hund und immer einige Katzen. Nachdem einige Zeit vorher wieder einer unserer Kater zu weit streunte und überfahren wurde, las ich in einer Zeitung “junge Katzen abzugeben”. Wir fuhren hin und suchten zwei hübsche Kater aus. Ich entschied mich für den graugetigerten Florian und Monika für den schwarzweißen Felix.
Wir hatten mit beiden viel Freude und sie waren unsere Lieblinge, neben unserer etwas älteren Kätzin Pummel, die sich mit ihrer weissen Schwanzspitze immer in Sicherheit bringen musste. Denn für die beiden spielsüchtigen Kater war so eine erregt hin und her tanzende weisse Schwanzspitze ein wunderbares Jagdspielzeug, wahrscheinlich in deren Phantasie eine Beute, die es zu fangen galt.
Diese beiden Brüder waren ein inniges Paar, liebten und schmusten miteinander wie ein “schwules Paar”. Ein “Herz und eine Seele” ! Während Florian etwas tolpatschiger war und ich ihn aus mancher misslichen Situation befreien musste, war Felix der elegante Seiltänzer, der täglich etwas mehr riskierte. Als beide dann immer öfters getrennte Wege gingen, fing Felix leider zum Streunen an und wurde eines Tages überfahren. Der Kummer von Florian war gross und er vermisste seinen Bruder sehr.
Nun weis ich nicht ob es ein Jahr oder ein halbes Jahr später war, was ich nun erlebte. Mein Gedächtnis lässt mich da nun im Stich. Aber es ist nicht so wesentlich.
Ich betrieb damals in Bad Krozingen meine -galerie arche 2000- in der Litschgi-Passage. Diese liegt etwas abseits vom Zentrum etwas zurückgesetzt von der Hauptstraße und die Kunden können dort trockenen Fusses einkaufen, durch ein Vordach geschützt, unter dem es immer etwas hallte.
Nun sass ich kurz vor Weihnachten allein in meiner Galerie und wartete auf Kunden, als ich draussen ein lautes bestimmtes Miauen hörte, was unter dem Vordach besonders laut schallte. Ich öffnete meine Glastüre und vor mir stand ein schwarzweißer Kater. Ich sprach ihn an und schnurstracks rannte er in die Galerie auf den dort plätschernden Zimmerbrunnen zu und löschte einen grossen Durst. Dann lies er sich kraulen und legte sich auf einen bequemen Sessel und schlief ein. Ich nannte ihn spontan Noah, weil er zu mir in die Arche gekommen war.
Als es nun Mittag wurde überlegte ich, was ich mit ihm machen solle. Allein in der Galerie lassen war mir zu riskant und ihn wieder aussetzen wollte ich nicht. Also setzte ich ihn in mein Auto und nahm ihn mit nachhause.
Wenn ich sonst eine neue Katze mit brachte, fremdelten diese für einige Tage und es gab Anpassungsschwierigkeiten mit den Anderen. Nicht so bei Noah. Er rannte schnurstracks zum Futternapf und mampfte alles leer, sauste die Treppe hoch und begrüsste die anderen Katzen so, als würde er sie schon ewig kennen. Er wusste wo das Katzenklo steht und welches das Katzensofa war. Die anderen reagierten etwas verwundert, aber fast ohne Scheu. Er kam, sah und siegte! Nach nur wenigen Tagen waren Noah und Florian die dicksten Freunde, so wie vorher Felix und Florian. Es war verblüffend und auch Pummel akzeptierte ihn sofort und mit meinem Hund arrangierte er sich schnell.
Da dies vor Weihnachten war und ich nicht wollte, dass irgendwo ein Kind sehr traurig war, hängte ich überall Zettel auf, um die vorherigen Besitzer zu finden. Aber es meldete sich niemand!
So lebte nun Noah einige Monate in unserer Gemeinschaft, so als würde er schon immer dazugehören. Er schmuste mit Felix so wie zwei “schwule Brüder” und er hatte fast die gleichen Verhaltensmuster und Fellmusterung wie Felix. Es war verrückt, so als wäre Felix wieder geboren und zu seinem Bruder zurückgekehrt.
Aber nach ein paar Monaten war er wieder verschwunden. Er ging so plötzlich wie er kam und wir haben trotz intensiver Suche nie wieder etwas von ihm gehört.
Diese Begebenheit fiel mir wieder ein, als ich an den alten Florian dachte, der bis zuletzt bei Monika lebte und sich so gerne auf meine Schulter legte. Wir nannten ihn daher den “Buckelkater”. Als ich meine Exfrau nach sieben Jahren Distanz besuchte, erkannte er mich nach einiger Zeit wieder und legte sich an meine Schulter und schmusste mit mir.

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