ADVENTSKALENDER 2024 mit Kurzgeschichten

Alles was uns im Leben begegnet und inspirierte

ADVENTSKALENDER 2024 mit Kurzgeschichten

Beitragvon Peter » 02.12.2024, 00:50

ADVENTSKALENDER 2024
mit Kurzgeschichten aus meinen Büchern
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Re: ADVENTSKALENDER 2024 mit Kurzgeschichten

Beitragvon Peter » 02.12.2024, 00:52

1. Dezember:

Fredo

Vor vielen Jahren, als ich mit Susanne, meiner damaligen Lebensgefährtin vom Kino heimwärtsging, sah ich in einer frostkalten Winternacht einen Obdachlosen, der mit einer schmutzigen Mütze über das Gesicht gezogen, in einer Geschäftspassage im Stehen schlief. Er tat uns leid und wir kochten eine warme Suppe, brachten diese und etwas Obst und belegte Brote, dazu eine Decke. Er nahm dankend an und blieb wo er war. Am nächsten Abend kam ich und bot an, ihn in eine nahe Obdachlosenunterkunft zu bringen. Zögernd willigte er ein, da er das turbulente, laute Treiben dort nicht mochte. Unterwegs im Auto erfuhr ich etwas aus seinem langen Leben auf der Straße, den schönen Sommernächten in den duftenden Blumenwiesen unter freiem Sternenhimmel. Er strahlte eine Seelenverwandtschaft ab und seinen wenigen Worten wurde mir die Bedeutung dieser Begegnung, für mich klar. Er blieb eine Nacht im wärmenden Asyl, nutzte dort die Dusche und warme Mahlzeiten. Die Nacht darauf stand er wieder an seinem alten Platz, die von Schmutz strotzende Mütze über das Gesicht gezogen und schlief im Stehen.
In den folgenden Monaten begegnete mir Fredo immer wieder und jedesmal freute ich mich ihn wohl und gesund zu sehen. Immer wenn ich diese wild aussehende Gestalt, mit unrasiertem Gesicht, durch die Straßen wandern sah ging mein Herz auf, da lachte etwas in mir, was ganz tief aus meiner Seele drang. Fredo war immer gut versorgt, einmal trug er zwei paar neue Schuhe bei sich, ein andermal neue Kleidung. Die Geschäftsleute gaben es ihm, manche um ihn loszuwerden, anderen ging es wohl wie mir. Einmal fand ich in einer Telefonzelle ein liegengebliebenes Baguette und sah im gleichen Moment Fredo auf der anderen Straßenseite. Ich sah dies als einen Wink des Schicksals und brachte ihm dies. Doch er lehnte dankend ab, da er genug habe und so kamen wir an diesem Abend völlig unerwartet zu diesem frischen Baguette.
Immer wieder hatte ich das Gefühl einem unbewußten Buddha zu begegnen. Denn er lebte das, was viele spirituelle Jünger vergeblich zu erreichen versuchten, da ihnen letztlich der fragende und wollende Kopf im Weg war. Fredo lebte total aus dem Moment, war immer in Bewegung, fand was er brauchte und schien glücklich zu sein. Vielleicht kannte er nichts anderes und erwartete nichts anderes mehr. Vielleicht war er wunschlos glücklich? Jedenfalls in der Zeit, als er mir sehr häufig begegnete.
Mir half er den Blick zu schärfen, für die einfachen Menschen, an denen wir häufig vorbeigehen. Die leicht übersehen werden, da sie nicht in unserer Bild von Seriösität passen, über die wir voreilig urteilen. Die wir gekonnt übersehen, da dies bequemer ist.

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Re: ADVENTSKALENDER 2024 mit Kurzgeschichten

Beitragvon Peter » 02.12.2024, 00:54

2. Dezember:

Ein kleines Geschenk

Vor über 30 Jahren machte ich mit meiner damaligen Frau, deren Mutter und deren Schwester eine Busreise in deren alte Heimat Oberschlesien. Kam so nach Opole (Oppeln), Wrozlaw (Breslau) und andere Orte. Es war eine Reise in die Vergangenheit der Alten, die bang und doch neugierig die Spuren ihrer Kindheit und Jugendzeit suchten. Wo einst eine grosse Gärtnerei war, fanden sie nur noch leere Flächen. Aber in einem Dorf lebte Martha, eine Polin, die als deutsche Kriegerwitwe anerkannt über die ganzen Jahre in Verbindung geblieben war und auch mehrfach auf Kur nach Deutschland ausreisen durfte. Das war das Glück für sie, dass der deutsche Staat etwas gutes tat für die Witwen deutscher Soldaten.
Als wir mit Martha das Haus von früher betraten, sahen meine Schwiegermutter und deren Schwester noch die gemalten Tapeten an den Wänden, so wie es früher war. Nichts hatte sich verändert. Die Zeit schien stehen geblieben zu sein und die Armut war überall sichtbar. Aber die Menschen waren freundlich und die Gastfreundschaft enorm. Die Dankbarkeit über die vielen Pakete aus dem Westen voll Süssigkeiten und Südfrüchten, wollte mit Gegengaben beantwortet werden. Für uns wenig attraktive Geschenke und doch nahmen wir es, um unsere Gastgeber nicht zu verletzen, denn sie hatten nicht mehr.
In einer Dorfkirche kamen wir gerade zu einer Taufe. Eine junge polnische Familie hielt ihr Kind über den Taufstein. Es war ein innerer Impuls, ich konnte nicht anders und fotografierte diesen Moment. Die Augen der jungen Eltern leuchteten auf und über Martha erfuhr ich, dass das junge Paar sich keinen Fotografen leisten konnten und baten um das Bild. So fotografierte ich noch einmal die junge Familie und versprach das Foto an Martha zu schicken, damit diese es der jungen Familie geben könnte. Selten habe ich so leuchtende Augen gesehen, die ich nie vergessen werde.
Zurück in Deutschland machte ich die Abzüge und wir kauften einen einfachen Lederrahmen und steckten dort zwei Bilder hinein und schickten diesen dann an Martha. Später kam ein Brief von dieser mit dem großen Dank dieser jungen polnischen Familie, die sich riesig darüber gefreut hat.
Dieser Tage sah ich im Fernsehen einen Bericht über Schlesien, sah darin Bilder von Orten wo wir damals waren. Da kamen auch wieder diese leuchtenden Augen zu mir und ich sehe vor meinem inneren Auge eine Wohnung mit einem Fotorahmen auf einem Wohnzimmerschrank.

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Re: ADVENTSKALENDER 2024 mit Kurzgeschichten

Beitragvon Peter » 02.12.2024, 22:30

3. Dezember:

Nina

Nina lag in ihrem Bett und versuchte, einzuschlafen. Da hörte sie ein leises Knistern vom Schrank her. “Nanu,” dachte sie, “sind da etwa Mäuse hinter dem Schrank? Das fehlte mir gerade noch!” Eigentlich wollte sie aufstehen und nachsehen, aber ihre Lider waren so schwer, sie bekam die Augen nicht auf.
Wieder vernahm sie ein Knistern. Sie konnte es genau orten – es kam von den nicht verschlossenen Schranktüren! Sie bewegten sich. Nein, nicht in den Scharnieren, wie jeder es kennt, sondern nur die Bretter und Furniere. Das polierte Eichenholz wellte sich leicht und knisterte. Hellwach saß Nina nun auf dem Bettrand und fragte: “Was ist denn hier los? Wer knistert da mit meinen Schranktüren?”
Eine dünne Stimme antwortete: “Das bin ich. Ich bin eine gefangene Seele und ich lebte in einer großen Eiche. Aber ein Mensch hat vor langer langer Zeit den Baum gefällt und jetzt bin ich auf viele Bretter verteilt! Aber ich spüre alle Bretter noch, was mich zwischen verschieden Schränken, Tischen und Stühlen an unterschiedlichen Orten hin und her zieht, an mir jede Nacht reisst. Es gibt diese Bretter fast alle noch.
Erst wenn alle zusammengetragen und in Öfen verbrannt sind, werde ich wieder frei sein, erlöst aus dem Gefängnis des Holzes des mächtigen Baums.”
Nina dachte laut: “Was ist mit der Seele des Baumes”. Wieder knisterte der Schrank und sie hörte die flüsternde Stimme. “Als der Baum gefällt wurde zog dessen Seele in die Wurzel sich zurück und trieb vom Baumstumpf neu aus. Aber ich war gefangen im Holz und wurde zerteilt in hunderte Bretter.” Nina fragte sich nun, weshalb die Seele in dem Baum gefangen war. Immer leiser flüsterte der Schrank: “Auch ich wollte einst den Baum fällen, da seine Äste zuviel Schatten auf mein Haus warfen. Da meine Säge für den Stamm zu klein war, kletterte ich an ihm hinauf und sägte an seinen mächtigen Ästen. Immer wenn diese ächzenden zu Boden krachten, spürte ich den Schmerz des Baumes und ihn bitten - hör auf, hör auf - . Ich achtete nicht darauf, bis ein Sägeblatt riß. Nun auf dem Weg hinab, verlor ich den Halt und fiel hinab. Mein Kopf verfing sich in einer Astgabel des Baumes, in der ich hängen blieb. Dort blieb mein lebloser Körper, bis er andertags gefunden wurde. Meine Seele sah den Schmerz des Baumes und begann den verletzten Baum zu heilen. So drang sie immer tiefer hinein und verband sich mit der Seele des Baumes. Wir waren so für viele Jahre eine Einheit und ich sah die Schönheit der Natur um uns, all das was ich als Mensch vorher nie gesehen. Aber als Holzfäller kamen und die Eiche fällten, blieb ich allein im Holz zurück und erlitt das Leid des Zerteilens. So lebe ich nun dahin in den Häusern der Menschen und sehe deren Leben hundertfach, sehe sie lieben und leiden, bin mitten drin und nur nachts kann ich mich als Ganzes spüren, mich dehnen und strecken.”
Nina hatte zugehört und war dabei eingeschlafen. Am nächsten Morgen wußte sie nicht, ob sie dies geträumt hatte und betrachtete den alten Schrank. Schon lange wollte sie sich von ihm trennen, aber keiner wollte diesen haben. Sie berührte ihn vorsichtig und die Türe knarrte. Plötzlich riß ein Türscharnier. Nina erschrak und ihr wurde bewußt, daß ihr Traum real war. Sie erinnerte sich deutlich der flüsternden Worte und ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken.
Nach dem Frühstuck holte sie eine Kerze und entzündete diese im Schrank. Diese erhellte den Raum und dieser Schein flackerte wie auf einem Kirchenaltar. Es war ja auch ein innerer Abschied und Achtung vor dieser Seele, die sich hier zu Wort gemeldet hatte. Als diese niedergebrannt war, holte sie eine Säge und zerteilte den Schrank in viele handliche Einzelteile. Das Feuer im Kachelofen loderte hoch und das trockene Holz knisterte auf seinem letzten Weg. Nina fühlte, wie sich damit etwas erlöste. Am Abend war im Raum eine Lücke, aber keine Leere und sie selber fühlte sich erlöst. Sie war befreit von Altem und Neues konnte in den Raum ihres Lebens einkehren. Als sie gerade am Einschlafen war, hörte sie ein Knistern am Fenster und hörte leise ein langes “Daaaaaanke !!!”. Zunächst erschrak sie, als ein feiner Lichtstrahl vor dem Fenster sich zeigte. Aber darauf wurde es ihr warm im Herz und sie schlief ein und träumte eine wunderschöne Geschichte. Sie sah den Schrank zum Himmel fliegen, begleitet von lichtvollen Engeln. Diese streuten wunderschöne Sterne auf sie herab und ihr Haus füllte sich mit diesem Sternenstaub.
Ab dieser Nacht hatte Nina nur noch Glück und der geträumte Sternenstaub materialisierte sich in Münzen, genug für ein zufriedenes Leben. Ab diesem Tag litt sie keinen Hunger mehr. Alles was sie nun altes ablöste, brachte ihr doppelt soviel neues und ihr Leben wurde reicher und täglich immer schöner.
Ihre Zimmer waren nun frisch und leuchtend, so wie sie selber leuchtete. Alle Menschen spürten dies und sie wurde zu einer lebenden Lichtgestalt. Denn sie verstrahlte etwas Leichtes, was den Anderen fehlte, welche immer noch ihre Vergangenheit festhielten.

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Re: ADVENTSKALENDER 2024 mit Kurzgeschichten

Beitragvon Peter » 03.12.2024, 20:11

4. Dezember:

Der Waschbär

Stand mit Wohnmobil auf dem Parkplatz vor der Orangerie in Darmstadt. Wollte mich gerade schlafen legen, als draußen ein seltsames Geräusch mich erschreckte. Mit Taschenlampe trat ich hinaus und hörte ein kratzendes polterndes Geräusch in einem Container für Elektronikteile, der dort neben Altglascontainern steht. Ich hörte von außen und überlegte was da im Container sein könnte. Ein Hund oder gar ein Waschbär, der da hinein geklettert war, um fressbares zu finden? Vorsichtig klopfte ich gegen den Container, denn gestörte Waschbären können angriffslustig sein. Keine Reaktion und das Gepolter im Container ging unvermindert weiter. Plötzlich sehe ich auf der Rückseite des Containers ein kleines schwarzes Fahrrad stehen. Nun rief ich laut: Hallo, wer ist da drin? Da öffnet sich die Klappe und ein Kopf war vage zu erkennen. “Ich, was ist los?”. - Nun sage ich dem Containergespenst, das ich schon überlegt habe die Polizei zu rufen. Daraufhin erfolgte ein “Entschuldigung” und aus der Klappe kriecht ein schlanker schwarz gekleideter Mann mit kleinem Hund. Der hat es allerdings nicht eilig, sondern untersucht auch noch die restlichen Container und schiebt in diese engen Öffnungen den Hund hinein, den er darauf trainiert hatte, die Sachen heraus zu holen, welche für ihn nützlich sind. Er selber hing mit seinem Kopf mit Stirnlampe ebenfalls im Container. Mit einer Hilfskonstruktion holte er dann den Hund wieder heraus. Aus gewisser Distanz beobachtete ich sein Treiben. Anschließend fuhr fröhlich jodelnd mit dem Rad davon und sein Hund rannte hinter ihm her.

Sachen erlebt man in größeren Städten, welche man sich sonst kaum vorstellen kann. Da gibt es inzwischen auch schon menschliche Waschbären, die in der Nacht den Wohlstandsmüll durchwühlen, um daraus ihr Leben zu verbessern.

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Re: ADVENTSKALENDER 2024 mit Kurzgeschichten

Beitragvon Peter » 05.12.2024, 00:10

5. Dezember:

Hinter den Kulissen des Moulin Rouge

Als 1987 meine Freunde Leici Kocka und Marianna Stroichi ins Moulin Rouge am Montmatre in Paris verpflichtet wurden, war ich bei den ersten Proben dabei. Dazu mussten wir zunächst drei Krokodile die Treppen hinab in Theater tragen und dort wurde dann das grosse Wasserbassin hydraulisch hochgefahren. In das Wasser angeheizt in optimaler Temperatur wurden die Tiere eingesetzt und Leici übte nun den Ringkampf mit den Krokodilen. Dabei fasst er die Tiere voll an, kitzelt diese etwas, so dass diese wild mit dem Schwanz um sich schlagen und das Wasser aufgewühlt wird. Dies erzeugt den Eindruck eines gefährlichen Kampfes, denn es ist ja ohnehin eine Leistung zu drei grossen Krokodilen ins Wasser zu springen. Auf der Bühne wurde zudem der Kopftrick durchgeführt, bei dem Leici seinen Kopf in den Rachen eines drei Meter langen Reptils steckt. Marianna trainierte mit einer Showtänzerin einen Schlangentanz.

Ich sah mir die Proben der vielen Showtänzerinnen an, die aus allen Ländern stammten. Mir einigen unterhielt ich mich und erfuhr von deren Lebenswegen.
Es waren drei sehr interessante Probentage und es war schon sehr interessant hinter die Kulissen dieser grossen Show zu blicken.

Ein paar Monate später war ich dann Ehrengast in der laufenden Show und sah alle diese Tänzerinnen in ihren tollen Kostümen und natürlich diese nun auch mit freien Busen. Denn das gibt es in einer Show so häufig, dass es irgendwann langweilig wird und meine Frau vermisste bald nackte Männer. Aber diese waren alle ordentlich züchtig gekleidet. Mehrere artistische Nummern wurden dazwischen gezeigt, die Nicolodis, Terry Parhade, Marc Metral, eine Sängerin und auch lebende Pferde. Dazu als Starattraktion Karah Khavak mit Schlangen und Krokodilen, mit anschliessendem Ringkampf im Wasserbassin.

In der Pause durften wir in die nüchternen Garderoben, wo die Nicolodis Karten spielten und mich mit den üblichen Scherzen begrüssten. Dazwischen liefen einige Tänzerinnen hindurch. Eine winkte mir mit "Hi Peter" zu und nun erkannte ich die Australierin wieder. Voll in Kostüm und Maske erkannte ich sie nicht mehr, da bei den Proben sie in T-Shirt und Probenhose erlebt hatte. Meine Frau sah mich etwas irritiert an. :lol:
Diese Show “Formidable” fand jede Nacht um 22 Uhr und um 24 Uhr statt. Sie lief über zehn Jahre ohne Pausen durch und das Honorar von Leici war fürstlich.

Aber das Leben in Paris ist auch nicht billig. Mit seinen Transporten und Wohnwagen stand er auf dem Platz der Artistenschule Anne Frattelini, die direkt unter einer Trassenbrücke der achtspurigen Stadtauto war. Auch ich stand dort einige Nächte mit meinem Wohnmobil. Höllisch lauter Lärm, die Reifenabriebe fallen herab und liegen überall auf dem Platz, die Abgase kann man deutlich riechen. Trotzdem war die Miete auf diesem Platz hoch, jeden Monat rund 1000 Euro. Einen anderen stadtnahen Platz gibt es für Artisten nicht. Trotzdem war der tägliche Weg zum Moulin Rouge einige Kilometer quer durch die Stadt. Da es im Bereich vom Moulin Rouge wenige sichere Plätze für Wohnmobile gibt, fuhren wir auf der Ladefläche eines geschlossenen Kleintransporters mit, sassen auf den Kisten mit den Schlangen und vor uns die frei im Raum liegenden Krokodile, die uns regungslos anstarrten.
Ich hatte ja schon Übung mit den Reptilien, aber meiner Frau wurde es recht mulmig. Zum Abschluss noch einen fachmännischen Rat: Sollten Sie mal in die Verlegenheit kommen, ein Krokodil tragen zu müssen, bleibt Ihnen die Auswahl dieses am Hals bzw. Kopf zu halten oder im Bereich der hinteren Beine und Schwanz.
Vorne schlägt das Krokodil mit Kopf und versucht Sie zu schnappen, hinten schlägt der Schwanz hin und her, was grosse Standfestigkeit erfordert. Ich habe auf beiden Seiten schon getragen und habe mich nun eher für den vorderen Bereich entschieden. Denn der Panzer eines Reptils ist glitschig und bietet wenig Halt. So bleibt man unweigerlich mit einem Finger im After hängen, da dies die einzige Vertiefung ist. Aber das mag das Tier nicht besonders und reagiert äusserst kitzlig. Vorne, seitlich am Hals hat man den besseren Halt. Aber solche Krokodile sind sehr schwer und wer schwere Arbeit nicht gewohnt ist, wird bald einen Muskelkater haben. Ich erlebte dies bei den Proben hinab die vielen Treppen ins Moulin Rouge. Die Hüfte schmerzte einige Tage sehr. Zum Glück gab es später einen Lastenlift und gut trainierte Helfer des Hauses. Denn die Tiere wurden nachts immer zurück zum Bassinwagen transportiert und hatten danach einen Ruhetag. Den nächsten Abend waren drei Andere dran. Leici und Marianne lieben ihre Tiere und pflegen diese gut. Einige seiner Krokodile hat Leici von seinem Vater übernommen und sind schon so alt wie er selber. Sie haben alle ihren Namen. Da wäre Mäxchen, Goofy, Hans, ....
Stars in der Manege, im Wasserbassin des Varieté und Fotoobjekte für Lacoste und andere Werbeaufnamen. In Paris fanden Leici und Marianna ihre neue Heimat und nun ein neues grosses Quartier etwa dreißig Kilometer vor der grossen Stadt.

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Aus dem Buch: CIRCUS MEINES LEBENS
http://www.amazon.de/Circus-meines-Lebens-Meine-Circusgeschichten/dp/1500187593/ref=tmm_pap_title_0

Inzwischen ist Leici auch Rentner und hat seine Alligatoren in den Loro-Park auf Teneriffa abgegeben. Marianna hilft immer noch abends im Backstagebereich des Moulin Rouge aus. Außerdem hält sie immer noch Schlangen, welche sie an jüngere Tänzerinnen in der Show vermietet.
Zeitweise hilft ihr dabei ihre Tocher Irina.
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Re: ADVENTSKALENDER 2024 mit Kurzgeschichten

Beitragvon Peter » 05.12.2024, 21:02

6. Dezember:

Freud und Leid als Weihnachtsmann

Durch einen sogenannten Zufall wurde ich im Dezember 2019 ein Nikolaus und Weihnachtsmann in einer Rolle. Die Suche nach einem XXL-Kostüm war nicht einfach, denn für meine Grösse ist die Auswahl gering. Beim schwäbischen “Kostümpalast” wurde ich schliesslich fündig. Von anderer Quelle kam ein Bart dazu, der zunächst stark am Kinn kratzte. So wurden die Teile mit Klebeband geglättet, doch schwitzt man unter einem künstlichen Bart gewaltig. Ist nichts für lange Einsätze. Nach spätestens fünfzehn Minuten wird es unangenehm und man ist froh, wenn man den Bart wieder abnehmen kann.
Am Nikolausabend war mein Testlauf bei einer Familie mit zwei Buben in Landsberg. Dem fünfjährigen Sohn und dessen Freunden. Da stand ich riesiger Nikolaus vor zwei auf dem Boden sitzenden Zwergen und den dahinter sitzenden Eltern. Trug das vor, was mir die Eltern textlich vorgegeben hatten und überreichte den Kindern schließlich reichhaltige Geschenke. In der Stube war es warm, im Kostüm und Bart mir noch wärmer. War mir unsicher wie ich auf die Buben wirkte und war froh, als ich die Treppe hinab wieder ins luftige Freie kam.
Am Tag danach ein angenehmes Feedback per Email: “Guten Morgen Herr Burger. Danke für diese Worte, sie passen wirklich bei beiden! Die Jungs waren hellauf von Ihnen begeistert. Wir wünschen Ihnen eine besinnliche Weihnachtszeit!”
Da ich die Geburtsdaten der Buben mit einbezog, hatte ich der Auftraggeberin eine numerologische Einschätzung geschrieben, die sie damit als zutreffend beantworteten. Deren Sohn war hellwach, dessen Freund blass unsicher. Es paßte zu meinem Zahlenwissen und ich ahnte wie diese sich weiterentwickeln werden. Diese Vorkenntnis bezog ich als Nikolaus mit ein und ging daher individuell auf beide ein. Obwohl nur ein kurzer intensiver Einsatz, war ich danach sehr müde und schlief zuhause am Fernseher sitzend ein.
Am Folgetag nun der große Einsatz in einer Mehrzweckhalle bei der Weihnachtsfeier eines Mobilen Pflegedienstes in Fuchstal vor rund hundert alten Menschen, deren Angehörigen und vielen Kindern. Frühzeitig war ich dort, spürte mich in die Halle ein, überlegte meine Vorgehensweise und wartete auf den Techniker der Headsets.
Die Tische waren in Sternform angeordnet, reichhaltig mit Getränken bestückt und eine bunte Vielfalt an Kuchen, Stollen, Lebkuchen und anderen Leckereien wurde angerichtet. Vor mir kamen andere Akteure dran, Kinder die Schönes sangen. Dann “schwebten” kleine Engele in den Saal, dahinter ich langer mächtiger Nikolaus, mit Hut rund zweimeterundzwanzig hoch. In einem roten Sack brachte ich Süssigkeiten für die Kinder mit, die ich als erstes bediente. Jedes Kind dürfte sich etwas aus dem Sack nehmen. Ich legte ihn in die Mitte des Saales und sofort stürzten sich alle Kinder darauf.
Ich nahm auf einem Stuhl Platz und schlug das goldene Buch auf. Nur reagierte das Headset zunächst nicht, dann dafür voll lauter schrille Töne, da sich die Reichweiten überschlugen. Das Mikrofon vertrug sich nicht mit den wirren Barthaaren. Schließlich wurde ich an eine andere Stelle umgesetzt und bekam ein festes Mikrofon in die Hand gedrückt. In mir schwitzend sass ich nun da und las meinen Text und Weihnachtsgeschichte vor. Eigentlich wollte ich einen Teil davon frei vortragen, was aber mein erhitztes Hirn nicht mehr zusammen brachte. Also las ich vom Blatt ab und versuchte mit Betonungen einzelner Sätze nicht zu monoton dies vorzutragen. Wenn man sich nicht selber hört und sieht, schwimmt man benebelt im Raum und handelt nur noch intuitiv. Hofft seriös zu wirken, obwohl man sich wie ein Hampelmann fühlt. Etwas Applaus der alten Leute tat gut, ich war also verstanden worden und die Geschichte hatte die Menschen erreicht und angesprochen.
Kaum war ich aus dem Saal zog ich Bart und Perücke herab, während ein Techniker das Headset zwischen Haaren verborgen barg. Nun aus dem Kostüm befreit trank ich gierig eine Flasche Wasser und gönnte mir Früchtebrot und Stollen. Das war eine Art Selbstbelohnung. Dieser Versuchung konnte ich nicht widerstehen.
Als ich mein Kostüm zum Auto hin trug, sagte ein Bub: “Du warst ja nur verkleidet.” Spontan erwiderte ich, das der Nikolaus im Alltag nicht immer in seiner Arbeitskleidung unterwegs sei. Ob dies dem Jungen wirklich einleuchtete? Danach setzte ich mich im Saal an den Rand und sah wie eine grosse Schar Kinder auf der Bühne die Weihnachtsgeschichte darstellte. Ein Bub als Schaf, der immer nur mähte, lach wie köstlich. Aber es fehlte dabei der Esel und ich war geneigt Ihhahhh zu rufen, aber verkniff es mir. Nebenan am Tisch bemühte sich eine alte Frau aufzustehen und bewegte sich zu ihrem Rollator hin. Ich half ihr in ihren Mantel und fragte sie wie jung sie sei. “Morgen werde ich 92” erwiderte sie mit leiser Stimme und als ich ihr alles Glück bis hundert wünschte, meinte sie nur, wenn der Verstand mitspielt. Sie muss eine sehr schöne Frau gewesen sein und einen Teil davon lebte sie immer noch voll Würde. Diese Episode am Rande berührte mich sehr.
Das sind meine Erlebnisse als Nikolaus und Weihnachtsmann, als ich mich bemühte Freude, Liebe und Frieden den Menschen zu bringen. Etwas was in unserer Welt oft zu kurz kommt, das mir aber schon immer wichtig war und nun im eigenen zunehmenden Alter noch wichtiger geworden ist. Dürfte ich mir heute einen neuen Vornamen auswählen, ich würde gerne Friedemann heißen. Aber der Peter ist auch nicht verkehrt, zumal ich benannt wurde nach dem Pfarrer und Schriftsteller Peter Dörfler, welcher der Religionslehrer meines Vaters war, der einst in Landsberg wirkte. Heute ist direkt am Lech ein Weg nach Peter Dörfler benannt.

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Re: ADVENTSKALENDER 2024 mit Kurzgeschichten

Beitragvon Peter » 06.12.2024, 20:48

7. Dezember:

Wie ich den kalten Krieg beendete

1968 war ich mit einer Reisegruppe in Prag, wenige Wochen vor der Occupation durch die Russen.
Damals waren in meinem Denken die Russen noch Feinde hinter dem Eisernen Vorhang.
Da ich schon immer ein organisatorisches Talent besass, organisierte ich für unsere Reisegruppe Theater- und Konzertkarten.
So auch für das berühmte LATERNA MAGICA, bei dem Theater und Film ineinander fliessen und zu einer Einheit verschmelzen.
Da einer aus unserer Gruppe nicht kam, hatte ich eine Karte übrig und bot diese vor der Theaterkasse ganz fair zum Einkaufspreis an. Die Nachfrage war riesig und ich hätte dafür problemlos das Vierfache verlangen können. Aber ich verkaufte sie zum normalen Preis an einen einfach gekleideten Mann, der während der Vorstellung dann auch neben mir sass. Es stellte sich heraus, das es ein ukrainischer Russe war. Mit Mimik und Gesten verständigten wir uns und ich sah, das er ein Mensch war wie ich und andere auch. Das hat in mir den Eisernen Vorhang geöffnet, denn er hatte ehrliche Augen welche mich freundlich anlächelten. Nach der Vorstellung überreichte er mir eine Schwarzweisspostkarte von Odessa, seiner Heimatstadt. Es war seine Dankesgeste für die Theaterkarte.

Die russische Occupation machte mich sehr betroffen, da ich den "Prager Frühling" voll genossen hatte. Er war voller Hoffnungen und Aufbruchstimmung in eine neue Zeit, die dann jäh abgewürgt wurde. Dennoch waren damit für mich nicht mehr alle Russen schlecht, denn da war ein Mann dem ich brüderlich die Hand gereicht hatte.
In späteren Jahren lernte ich viele Russen kennen und dabei einige ganz liebe Künstler, die heute in Deutschland leben.

Frieden entsteht zwischen Menschen im Dialog, jenseits politischer Systeme, die das Gegenteil herbei reden möchten. Es ist die uniformierte Gleichschaltung welche menschliche Brücken blockiert, um mächtig zu sein auf Kosten von anderen.

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Re: ADVENTSKALENDER 2024 mit Kurzgeschichten

Beitragvon Peter » 07.12.2024, 21:49

8. Dezember:

Wie ich Leibwächter wurde.

In der Zeit um 1990 herum veranstaltete ich einen Künstlermarkt im Pfalzbau Ludwigshafen und begann am Freitagnachmittag den Veranstaltungssaal vorzubereiten. Dazu stand ich mit Wohnmobil und Anhänger voll Stellwänden vor dem Pfalzbau.
Am gleichen Tag war abends eine Geburtstagsfeier von Helmut Kohl und eine Sicherungsgruppe der Bundespolizei begann den Platz mit Zaungittern zu begrenzen. Da ich innerhalb der Sicherungszone stand, bekam ich einen Ausweis, der mir gestattete im Pfalzbau mich frei zu bewegen und bekam damit auch Zutritt zur abendlichen Geburtstagsfeier. Dort standen im Foyer Stehtische und es gab Pfälzer Wein und Brezeln auf den Tischen. An einem Stehtisch tänzelte Helmut Kohl wie ein „Preisboxer“ hin und her, während er sich mit einzelnen Personen unterhielt. Hannelore Kohl entschied, wer zu ihm hin durfte und wer nicht. Sie liess fömlich die „Puppen“ tanzen.
Mit meinem Ausweis konnte ich mich an einen Tisch in der Nähe stellen und zuhören. Alle dachten ich gehöre zu seinen Leibwächtern. Es war überaus interessant mitzuerleben welche Arschkriecher sich ihm schleimend anbiederten. Besonders ein Münchner Professor, der später auch noch einen grausam langen Vortrag hielt. Um in die Nähe der Macht zu kommen, schleimte dieser Lobhudeleinen am laufenden Band. Alle atmeten auf, als er schliesslich seinen Mund hielt. Der einzig fundierte Redner war der Landwirtschaftsminister Gerhard Weiser mit einem kurz gehaltenen Vortrag, dem wirklich Respekt gebiehrt. Dieser hatte sichtlich ein freundschaftliches Verhältnis zu Helmut Kohl.
Bei diesem Anlass zufällig „Mäuschen“ sein zu können, war ein besonderes Erlebnis, das ich nie vergessen werde. Ich, der zufällige Leibwächter eines mächtigen Mannes, der mich zweimal kurz prüfend anblickte und sich sichtlich wohl fühlte, das ich lange Latte in seiner Nähe stand.

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Re: ADVENTSKALENDER 2024 mit Kurzgeschichten

Beitragvon Peter » 08.12.2024, 21:29

9. Dezember:

Ein deutscher Affe

Meine Freunde Leici Kocka und Mariana Stroichi waren mit ihrer Krokodil- und Schlangenschau die Saison 1985 beim Cirque Achille Zavatta in Frankreich engagiert. Unter dem Künstlernamen “Karah Kavak” sind diese eine altbekannte Nummer in der internationalen Circuswelt.
Auf dem Urlaubsweg nach Spanien und Portugal besuchte ich mit meiner damaligen Frau die Beiden in Grenoble und dort erfuhr ich, dass Mariana in Lyon an der Wirbelsäule operiert werden würde. Das Tragen der schweren Schlangen, ihre Arbeit am Trapez und am Schleuderbrett (sie war früher Teil der rumänischen Truppe Stroichi), erzwangen diese Operation, da ihre Rückenschmerzen immer unerträglicher wurden. An den Universitätskliniken in Lyon gab es einen Spezialisten dafür. Aber anschliessend würde sie sich einige Zeit schonen müssen, dürfte nicht mehr in der Manege arbeiten und schon gar nicht schwere Lastwagen fahren. Daher sollte sie mit einem LKW nachhause gebracht werden, was in der Nähe von Celle war. Noch war nicht klar, wer diesen Transport übernehmen würde. Möglicherweise der deutsche Freund von Mariana’s Tochter Irina, die in Celle als Anwaltsgehilfin arbeitete. Da es zeitlich gut zusammen passte, versprach ich Leici, diesen Transport auf dem Rückweg von unserer Reise zu begleiten.
Wir fuhren nun erst mal weiter in Ferien nach Portugal und Spanien und auf dem Rückweg fuhren wir von der spanischen Grenze in einem Stück bis nach Valence, wo der Cirque Achille Zavatta nun gastierte. Dort angekommen traf ich nur noch Leici an, da der Transport schon eine Stunde vorher losgefahren war. Die Mutter von Irina’s Freund hatte diese Aufgabe übernommen, da sie anscheinend Angst um ihren Sohn hatte. Aber die Frau hatte noch nie einen Lastwagen gefahren und nur eine Pkw-Praxis rund um Celle. Daher war sie sehr nervös und ungeduldig. So machten wir nur eine kurze Pause in Valence, tauschten mit Leici Neuigkeiten aus und fuhren dann mit meinem Wohnmobil im Eiltempo dem Lastwagen nach. Hinter Macon sah ich den buntbemalten Lastwagen vor mir. Darauf ein grosses Krokodil mit aufgerissenem Rachen und die Beschriftung Karah Khavak - Krokodil- und Schlangenschau. Ich überholte diesen und lotse sie zum nächsten Parkplatz hinaus. Im Fahrerhaus diese Frau, daneben Irina und hinten im Wagen lag Marianna auf einer Matratze. Ihre beiden Hunde kamen gleich heraus und ich hörte ETI den Affen zetern. Die Fahrerin hatte schon einigen Stress hinter sich, hatte sich ungut verfahren und musste rückwärts aus einer Sackgasse fahren. Aber sie brachte nicht den harten Rückwärtsgang hinein, da das Getriebe dieses alten Lastwagens seine Tücken hatte. Mit einem Hammer klopfte daraufhin Irina auf Anweisung von Mariana dagegen. Daher war die Frau sehr erfreut mich zu sehen, da ich mit diesen alten Fahrzeugen mehr Erfahrung hatte.
So fuhren wir in Kolonne, manchmal ich etwas voraus und wartete dann wieder, den in den Bergen des französischen Jura wurde der LKW immer langsamer. Da wir von der spanischen Grenze ohne viel Rast unterwegs waren, wurde ich auch immer müder und dieses schleppende Tempo nervte zunehmend. Dazwischen machten wir an einem Imbiss auf freier Strecke Halt. Daneben standen einige Wohnwagen. Nun stieg eine Hüne von zwei Metern Körpergrösse mit vier leicht verwilderten Frauen aus. Das Paar in dem Imbiss sah uns zunächst etwas ratlos an und war dann erleichtert, dass wir nur etwas zum Essen bestellten. Da bemerkte ich, dass die Wohnwagen ein Puff waren und der Mann mich zunächst für einen Zuhälter hielt. Meine Frauen hatten dies auch bemerkt und kicherten. Mir war dann doch wohler, als wir weiterfuhren. Die Nacht brach ein und die Fahrt zog sich unendlich. Aber wir wollten bei Nacht über die Grenze bei Mulhouse, denn der Inhalt dieses Transportes war nicht ganz legal. Da waren zwei Hunde mit französischen Impfpapieren (keinen internationalen), in der Dusche gut in warme Decken eingewickelt zwei grosse Schlangen, deren Citespapiere bei Leici in Frankreich bleiben mussten, da er diese von den verbliebenen Schlangen nicht trennen konnte, hinten war alles voller Futtertiere, hauptsächlich Zuchtratten und dann noch ETI der Affe. Vor dem Frankreichengagement waren Leici und Marianne zu ZDF-Aufnahmen in Offenburg. Dort dabei war auch ein Familiencircus, bei dem der kleine Affe geboren wurde. Da dessen Mutter ihn nicht säugte, übernahm dies Marianna liebevoll und päppelte ihn mit der Flasche auf. Daher nahmen sie ihn mit nach Frankreich und nun wieder retour. Glücklicherweise gab es einen Brief des ZDF, der die Geburt des Affen in Offenburg bescheinigte und das dieser nun im Besitz von Marianna war. Aber alles in Allem, waren wir auf Komplikationen gefasst und wollten diesen Grenzübertritt lieber nachts wagen, in der Hoffnung, dass die Grenzer uns aus Bequemlichkeit einfach durchwinken würden.
Um Mitternacht erreichten wir die Grenze. Ich wurde mit meinem Wohnmobil mit Freiburger Kennzeichen sofort durchgewunken, doch der LKW wurde gestoppt und die drei übermüdeten Frauen mussten aussteigen. Dann bellten zwei Hunde, zeterte ein erschreckter Affe und die Zöllner entdeckten die Ratten. Dann fehlten die Papiere. Weiter in das Fahrzeug stiegen sie nicht, das war ihnen bei der Aussenbeschriftung wohl nicht geheuer und so fanden sie die Schlangen glücklicherweise nicht.
Nun trat ich dazu und versuchte zu vermitteln. Zwei junge noch etwas unerfahrene Zöllner waren sichtlich überfordert, aber wollten sich stur an die Gesetze halten. Als ich ihnen erklärte, dass das hinten klinisch saubere Laborratten seien, die Hunde ja neue französische Papiere hätten und der Affe ein ”deutscher Affe“ sei, der illegal nach Frankreich ausgereist sei und nun wieder legal zurückkehren würde, war deren Verwirrung sichtlich gross. Ich zeigte denen die Bescheinigung des ZDF und sagte, dass am nächsten Tag hier eine Presserummel stattfinden würde, wenn sie den Transport festhalten würden, zumal Mariana frisch operiert sei und schleunigst nach Hause müsste. Dazu drohte ich mit einem bekannten Freiburger Anwalt, den ich dazu rufen würde. Alles das zeigte Wirkung und nachdem ein dritter etwas älterer Zöllner hinzugerufen wurde, gab es eine Kopfbewegung, die klar besagte wir sollten verschwinden. Den Zöllnern war klar geworden, dass sie die ganze Nacht mit uns beschäftigt gewesen wären, das war auch diesen zuviel. So tuckerten wir die Rheinebene hinauf bis zu unserem Ort bei Freiburg wo ich damals wohnte. Wir stellten den Transport am Friedhof ab und die Frauen kamen in unser Haus zum Schlafen.
Am nächsten Tag war Fronleichnam und durch unser Dorf bewegte sich ein Fronleichnamsumzug. Als diese an den buntbemalten exotischem Lastwagen vorbeizogen gingen alle Blicke irritiert dorthin. Dies war köstlich zu betrachten.
Nach einem guten Frühstück zogen die drei Frauen alleine weiter und wir blieben zuhause und genossen den erholsamen Tag.

Später erfuhr ich, dass hinter Karlsruhe der Lastwagen Öl verlor und dieses Dosenweise nachgekippt werden musste. Da Marianna nur Franc dabei hatte und an dem Feiertag nirgends wechseln konnte, machte sie dies bei Lastwagenfahrern, die deren Notlage ausnutzen und ihnen zu einem ungünstigen Kurs das Geld wechselten. Spät in der folgenden Nacht kamen sie in Winsen bei Celle an.
Die Fahrerin hat wohl eine Woche Erholung gebraucht und wird heute davon erzählen, wie manche Männer vom Krieg. Das wohl grösste Abenteuer ihres Lebens!
Was man für den eigenen Sohn und dessen Freundin doch alles tut. Aber diese wurden dennoch kein Paar.
Irina zog es zurück zum Circus, verliebte sich in einen bulgarischen Artisten. Zehn Jahre betrieben sie einen Circus in Bulgarien, der aber wirtschaftlich nicht überlebte. Dann arbeitete Irina mit neuem Partner bei einem Circus in der Schweiz, Leici trat weiter bei Circus in Spanien, Frankreich oder Rumänien auf. Inzwischen hat er damit aufgehört und seine Tiere in den Loro-Park auf Teneriffa gebracht. Marianna betreut immer noch den den Souvenirverkauf im Moulin Rouge in Paris. Zuhause im Quartier bei Paris betreut sie immer noch diverse Tiere, für die sie immer ein gutes Händchen hatte und die es bei ihr immer gut hatten.

Mit dieser Familie verbinden mich viele lustige Erlebnisse mit deren Tieren in verschiedenen Ländern. Mir unvergessen als wir diese bei einem Gastspiel in Madrid besuchten. Dort kam der neue moderne Tierwagen für die Krokodile an und wurde mit allen Artisten gefeiert. Dabei auch die Familie von Jeanny Bügler, der mit seinen Elefanten und Pferden im Programm war. Mitten in der Party sass auch der Hund von Frau Bügler und schnappte sich alle nicht gegessenen Grillwürste und Kotletts.
Der spanische Circus Mundial stand direkt neben der Stierkampfarena und am Sonntag konnte man den Platz mit Auto nicht verlassen, da alles zugeparkt wurde. Die sechsspurige Strasse vor der Arena wurde bis auf zwei Spuren mit Autos verstellt, was die Polizei ganz gelassen regelte.
Die Spanier reagierten bei den Krokodilen in der Vorstellund extrem emotional, sprangen von den Sitzen auf und starrten auf die näher kommenden Reptilien am Manegenrand. Sowas hatte ich in Deutschland mit diesen nie erlebt. Dort war es eine spektakuläre Attraktion, so als wenn bei uns ein Dinosaurier durch Berlin traben würde.

Peter Burger
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