Am Fluß

Alles was uns im Leben begegnet und inspirierte

Am Fluß

Beitragvon Alfons » 24.09.2010, 21:08

Am Fluß

Am Ufer des Flusses liege ich mit Frau und Kind und lasse mich bräunen. Das Kind spielt selbstvergessen, füllt seine Eimerchen mit Wasser und bringt es zu der winzigen Grube, die ich im heißen Sand ausgehöhlt habe. Was kümmert uns noch der breit dahinströmende Fluß? Ganz hingegeben beugen wir uns über den selbstgeschaffenen See, den wir so nennen, obwohl es kaum ein Tümpel ist. Lange hält das kindliche Vergnügen nicht an, denn allzubald verflüchtigt sich das Wässerchen im Sand und neue Ziele will das Kind betreiben. “Komm”. sagt es, “schwimm!” Ich führe den Kleinen an eine seichte Stelle des Flusses und lasse ihn schwimmen. Auf den flachen Steinen liegt er nun, wo kaum mein Fuß umspült wird und ich sehe zu, wie das Kind mit Armen und Beinen zu rudern beginnt. Gewiß fühlt es dieselbe Wonne wie ich, wenn ich, von den Wogen getragen, mich dem Fluß ganz anvertraue.

Ein Mann nähert sich, angetan mit hohen Stiefeln, das Angelgerät in der Hand. Langsam stelzt er hinaus zu den tiefen Stellen und prüft bedächtig die Schnur mit dem Köder. Dann schnellt es sie an und wartet. Dieses stille, unbewegliche Warten überträgt sich unwillkürlich auf uns und auch wir warten nun. “Siehst du”, sage ich, “der Mann fängt die Fische, die da draußen schwimmen”. Mein Kind scheint es besser zu wissen. “Fisch will nicht, Fisch geht fort, will nicht tot sein”, gibt er zur Antwort und wendet sich wieder den feuchten Steinen zu. Ich beginne, nachzudenken und wende meine Sympathie unversehens den Fischen zu, die da irgendwo in der feuchten Tiefe verharren. Ich wünsche ihnen alles Gute und langes Leben, dem Fischer aber langes Warten und vergebliches Hoffen. Er ist ein alter Mann, dieser Fischer, und blickt versonnen zu dem Kind herüber. Will er eine Unterhaltung anknüpfen? “Ein Geduldspiel ist es”, ruft er mich an und ich nähere mich wißbegierig, um vielleicht mehr zu erfahren von dem Handwerk und den Kniffen, mit denen man Fische fängt. Hoffte ich nicht immer schon, es möchte mich jemand lehren, ein richtiger Fischer zu werden, damit ich auch des Vergnügens teilhaftig werde, mit Geduld und stiller Freude an den Gewässern meiner Heimat zu streifen? Daß die Fische dann von meiner Hand sterben müßten, hatte ich nie so recht bedacht. Es war wohl selbstverständlich, daß auch die Fische nicht ewig leben können und sicher würde es meiner Frau behagen, mit billiger Speise aufzuwarten.

Doch der Fischer wendet sich von mir ab und ist nur mehr für die Angelgerte da, die sich strafft und neigt. Es ist klar, ein Fisch hat angebissen, schon zuckt sein silberner Leib empor, nichts hilft mehr, ein eleganter Schwung der Gerte schnellt ihn auf die Steine des Ufers. Da liegt er hilflos, zuckt und windet sich und doch liegt so nah das Element, dem er entrissen ist.

Gar zu eilig ist der Fischer, seine Beute zu ergreifen, er rutscht und fällt und klatscht in die Nässe. Ich rühre mich nicht, ihm beizustehen. Merkwürdig genug, freut es mich fast, ihn da zu sehen, wo es dem ohnmächtigen Fisch nicht mehr vergönnt ist, zu leben. Beide, Fisch und Fischer schnappen gierig nach Luft und beiden ist eines gemeinsam; die Todesangst. Dem Fisch ist nicht mehr zu helfen, dem Fischer aber springe ich jetzt bei und ziehe ihn an seichtes Ufer. Benommen erhebt er sich und blickt mit leichtem Grausen zu der tiefen Stelle, an der ihn seine schweren Stiefel gefangen hielten. Schweigend löst er dem Fisch die Angelhaken aus dem Kiefer und fast bin ich versucht, nun auch den Fisch zu retten und ihn mit raschem Griff dahin zu werfen, wo ihm allein noch Rettung wäre. Doch lächelnd reicht der alte Mann mir seine Beute und will mir danken durch diese Gabe. Ich kann mich entschließen, ihn anzufassen, den angstvoll schnappenden, mit gläsernen Augen starrenden, im glänzenden Schuppenkleid prangenden Leib. “Lebend bleibt er länger frisch, dieser prächtige Kerl”, ermuntert mich der Mann, “wenn es ihnen aber lieber ist, kann ich ihn auch gleich totmachen”. “Ja, tun sie das”, wirft meine Frau ein und ehe ich mich versehe, wird dem prächtigen Kerl das Lebenslicht ausgeblasen.

Merkwürdig nun, da er bewegungslos daliegt, offenbar tot, bin ich beruhigt und sehe mit gewisser Befriedigung, wie er im Korb meiner Frau verschwindet. “Er wird heute Abend noch blau gesotten”, stellt sie fest und in alter Gewohnheit des Widerspruchs bemerke ich, daß mir Gebratenes besser schmeckt. “Gut”, sagt sie, dann wird er gebacken.

Am Abend liegt er gebacken auf dem Tisch und schmeckt herrlich. Der ältere Sohn, der nicht dabei war, als der prächtige Kerl noch lebte, fragt kauend, wo man am Sonntag solche Dinge kaufen könne. Mit listiger, schalkhafter Miene fabuliert die Mutter: “Beim Baden sind wir tief hinabgetaucht und da hat der Vater den Fisch gepackt”. Erinnert sie sich, daß der Sohn von Tiefseetauchern schwärmt, die sich nicht scheuen, mit Haien zu kämpfen? Will sie mich zum Helden der Tiefsee erhöhen? “Wirklich ?” bemerkte der Junge trocken, “wenn ich es getan hätte, müßte ich hören, ich sei ein elender Fischräuber”.

Jedenfalls schmeckte er prächtig, der Fisch und so billig. Noch dazu das Geschenk für einen “Lebensretter”.

Alfons Burger (1953)
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