Eremit auf Reisen

Alles was uns im Leben begegnet und inspirierte

Eremit auf Reisen

Beitragvon Peter » 30.08.2010, 17:13

Eremit auf Reisen

Wenn ich mich früher mit meinem Wohnmobil auf Wanderschaft begab, liess ich mich treiben, wohin der Fluss des Weges mich führen wollte. Da gab es ein Ziel, das nicht statisch festgeschrieben war. Manchmal erreichte ich es oder kam wo ganz anders an. Das überliess ich den Wegen, den schönen Plätzen in der Natur und den Zufällen, die am Straßenrand auf einen warten.
Im Dezember 1999/2000 fuhr ich wieder in mein „geliebtes Portugal“ besuchte dort Freunde und liess mich von einem schönen Platz zum Nächsten treiben. Mal war es der schöne Meeresblick der mich rasten liess, dann der Regen und Sturm der mich weitertrieb. Jeden Tag andere wandernde Nomaden als Nachbarn. Manche traf ich oft und andere nur selten. Aber immer ein freundlicher Gruß, ein Hallo, manchmal ein Plausch mit diesen freiheitssüchtigen Winterflüchtlingen. Mein Hund Oskar hatte bald seine Spielkameraden mit denen er raufte, bellte und tobte. Wenn ich auf die bekannten Plätze fuhr heulte er schon vor Begeisterung, da er seine Freunde laufen sah. Immer war etwas in Bewegung, war es doch eine bewegliche Gemeinschaft. Da der achtzigjährige Peter aus München mit einem uralten Mobil, der mit seinem Hund allein reiste. Ein ganz ausgeglichener alter Herr, der seinen Frieden hatte. Daneben ein vergittertes Mobil einer allein reisenden Stuttgarterin, die nun rechts der Isar in München lebt, wenn sie nicht umher wandert. Daneben das Mobil ihrer Freundin, einer scheuen vorsichtigen Belgierin mit kleinem frechen Kläffer. Ein paar Meter weiter ein Paar aus Tirol. Er sass den ganzen Tag davor und schnitze Herrgotts- und Marienfiguren und kleine geschwungene Delphine. Kleine Mitbringsel für die Freunde zuhause. Manchmal kreuzten schwere Ungeheuer auf. Alternativ ausgebaute Militärfahrzeuge und Lastwagen der ehemaligen DDR-Armee. Alles Bastlertypen, „Selbstausbauer“, Individualisten total. Herrlich fröhliche Gestalten. Am Abend dann ein Lagerfeuer daneben mit Musik und Geschichten. Mein Vollkornbrot mit Philadelphiastreichkäse eine willkommene Gabe dazu. Ich las einige meiner neusten Gedichte vor und es entstand eine tiefe Stille lauschender Zuhörer. Nichts stört diese Idylle. Selbst die über den Platz fahrenden portugiesischen Polizisten sagen nichts. Sie lassen uns sein, tolerieren unser Nomadensein. Manchmal treffen so an die vierzig Eremiten-Nomaden zusammen und dann war ich wieder allein oder mit einem zweiten Mobil in respektvoller Distanz. Ein Schweizer neben mir rangiert die Solarzellen in die Sonne. Er hat sein Büro dabei und lädt über 12 Volt seinen 220 Volt Speicher. Ein Unternehmensberater auf Abruf. Seine Partnerin, eine Richterwitwe erzählt von den Kriminalgeschichten, die ihr verstorbener Mann schrieb. Die Letzte unvollendete will sie nun vollenden. Eine Geschichte über das Verschwinden im Nichts. Dem Verschwinden ohne Spuren. Das aufgewühlte Meer gegen die Klippen peitschend gibt Erklärungen dazu. Man müsste mit dem Auto nur über die Klippen fahren, vierzig Meter hinabfallen lassen in das aufgewühlte Meer. Dort würden nur noch Bruchstücke angespült, kein Mann mehr, kein lebendes Zeichen. Wir spinnen den Faden weiter und vollenden im Geist die unvollendete Geschichte. An diesen Felsen stehen portugiesische Fischer und werfen die Angeln in die tosende Tiefe. Meist gut angeleint in die Tiefe starrend. Ganz Mutige ohne Sicherung mit Turnschuhen am äußersten Klippenrand. Berauschte Seiltänzer sich dem Tod trotzend stellend, hinabstarrend mit dünner Schnur dem Meer etwas zu entlocken. Roulette total. Jeden Herbst, wenn die mächtigen Stürme vom Westen her peitschen, werde einige hinabgefegt auf nimmer Wiedersehn. Es ist eine Sucht sich dem Unendlichen zu stellen, ihm etwas abzuringen und selbst Tod zu sein, für Fische des unendlichen Kreislaufs.
An einer anderen Küste stehen zwei Autos mit deutschen Kennzeichen. Die beiden Männer tanzen auf Surfbrettern wie waghalsige Akrobaten durchs windgepeitschte Meer. In wahnsinniger Geschwindigkeit weit hinaus, um einen in Sicherheit verankerten Frachter herum, retour und wieder hinaus. Dazwischen ein Salto, eine Wasserlandung und ein neues Spiel mit dem Wind und den Wellen. Irgendwann kommen zwei durchgefrorene Gestalten an Land, strahlende Gesichter, high - berauscht, total erfüllt als Bezwinger des Meeres, der Gewalten und sich selbst. Vergessend aller Gefahren. Am Tag vorher waren zwanzig Kilometer entfernt zwei Surfer gegen einen Felsen gejagt. Er tot, die Frau überlebte schwer verletzt. Solche Unfälle passieren dort jede Woche.
So war ich als Eremit auf Reisen ein Beobachter des Ganzen, des Momentes wo ich bin, schau einfach hin und bin. Erleb’ mich durch andere, leb mit den Traum der Berauschten, leb mit die kleinen Feinheiten am Wegesrand. Leb ganz im Sehen und einfach Sein.

Peter Burger
Mai 2001
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Re: Eremit auf Reisen

Beitragvon Peter » 30.08.2010, 17:13

Wellen bewegen hin und her - mich

Spätherbst am Meer, sitze im Sand einer Insel, im deutschen Grenzland, zur Windseite hin geschützt. Mein Blick führt zum Wasser, das vom Wind bewegt aufschaukelt und ich träume vom warmen Süden, vom unendlich langen Sandstrand der Rio Formosa der östlichen Algarve, der immer bedeckt ist mit Millionen Schalen unterschiedlichster Muscheln. Mein Blick springt über, von der Nordsee zum Atlantik, in die mächtigen Wellen der schlagenden Flut, sie tanzen nun immer näher, im ureigenen Rhythmus ewiger Zeiten. Nach jeder siebten Welle kommen ein, zwei mächtigere und umspülen meine Beine. Zweimal muss ich flüchten, da der Sand unter meinen Füssen weggeschwemmt wird, mich mitzureissen versucht.
Tief versunken in die Brandung versuche ich zu verstehen, was das Meer von mir will. Wohin es mich zieht, in welche Welten, die einst Vasco Gadama und andere Seefahrer lockten, mit denen tausende Menschen zu neuen Zielen aufbrachen. Einst ein Weltreich mit Kolonien von Afrika bis Asien, heute ein armes Land, das ärmste im westlichen Europa. Nur das Seefahrerdenkmal in Lisboa erinnert noch an diesen Teil einer langen Geschichte. Ja, ich bin mitten drin, sehe den Tejo, die mächtigen Brücken, den Leuchtturm an der Mündung zum Meer, wo einst machtvolle Caravellen ein und ausfuhren, beladen mit Schätzen, Sklaven, der Ruhr und anderem Leid.
Für einen kurzen Moment erwacht, sehe wieder das nördliche Meer, erfasse die Insel, wo Tagträume mich erden. In die Düne gedrückt finde ich Schutz für den Weg meiner Seele. Das Meer trägt sie fort, mit sich, wo wärmende Luft mich hinlockt.
Dort am Meeresstrand fernab, vor den mächtigen Wellen der Flut, die Seetang aufwirbelt, Treibgut anspült, genau da in diesem Inferno von bewegten Wassermassen, bin ich jetzt vergeistigt und reise weiter mit den Wellen zu neuen Ufern, wo gerade Ebbe den Strand erweitert und all die Schätze offenbart, die die Gegenkraft zurückgelassen hat. Gezeiten schieben das Meer hin und her, wie das Wasser in einer Schüssel. An der einen Seite sitze ich versunken und blicke an den anderen Rand, erblicke die Ufer in der Ferne mit Sandstränden, Palmen und exotischen Getier.
Wohin reiste ich gerade im Geist, wohin blickt meine Seele? Meer wohin hast du mich geführt?
Wie ein Seefahrer bin ich über Wellen geritten und stehe an neuen Ufern, einem fernen fremden Land, bin Entdecker wie einst die grossen Segelschiffe, die hier landeten. Was mich nun hier erwarten wird? Freundliche Menschen, Ablehnung, Bedrohung?
Ich verspüre Verunsicherung in der Magengrube, bin gelähmt das neue Land zu betreten. Schaue um mich, vorsichtig und warte ab.
Alles ist ruhig, nur Vögel zwitschern mit ungewohnten Lauten, die Sonne strahlt kräftig und es scheint ein Paradies zu sein, bunt, hell, fröhlich. Nichts geschieht und trotz Unbehagen schreite ich voran. Der Strand erscheint mir unendlich weit, der grüne Palmenwald will mir nicht näher kommen. Ich sehe Augen zwischen Büschen, beobachtet, fühle mich hilflos. Nichts habe ich in meinen Händen, keine Waffe, kein Geschenk, nichts habe ich mitgebracht, nur mich.
Was soll ich hier? Seele warum führst du mich an diesen Strand?
Ich möchte rückwärts gehen, auf der Stelle schreiten, kehrt machen. Angst macht sich in mir breit. Aber die Wellen der Flut drängen mich vorwärts, sie schieben mich dem Land immer näher, dem grünen Buschwerk unter Palmen, die angenehm Schatten spenden. Spüre den Schweiss von meiner Stirn rinnen, wische ihn ab und setze mich an den Stamm, dessen Blätter mir Wind zufächeln. Alles kommt mir entgegen, doch atme ich schwer. Blicke nochmal zum Meer, das noch immer Welle für Welle Wasser ans Land schaufelt. Mein Schiff ist es gestrandet, liegt fest, aufgelaufen zwischen Sand und Fels.
Nahe dem Palmenhain sehe ich einen schmalen Pfad, dem ich folge hinein in den Wald, der dicht und stickig sich fühlt, beklemmend grün mit unbekannten Geräuschen. Vom kecken Lachen bis zum Gesang der Vögel, ein Knacken im Gebüsch, unheimliche Geräusche in grosser Stille. Mein Gang wird immer schneller, will entkommen dem dichten Wald. Beginne zu rennen, Zweige schlagen mir ins Gesicht, Dornen kratzen an meiner Haut, stechende Fliegen umsurren mich. Ich schlage mit den Händen um mich, laufe, sehe nicht mehr, nur den Weg der langsam etwas breiter wird. Das Dunkel weicht über mir, ich stehe in einer Lichtung des Waldes, vor mir ein kleiner See mit klarem Wasser. Ich trinke gierig, benetze Kopf und Arme, stehe bis zu den Knien in angenehm warmen Nass. Ein Bach fliesst hinein, dem ich nun folge. Langsam geht es bergan und mein Gang wird schwerer. Aber ich fühle mich nun sicherer, der Wald ist mir vertraut, die Geräusche erschrecken mich nicht mehr. Ich habe den Weg in mir, den ich beschritten, der mich getragen hat zum See und nun beständig bergauf, entlang eines Bächleins, das immer schmaler wird und plötzlich an seiner Quelle versiegt. Hier ist kein Wald mehr, nur noch dichtes Gebüsch und steiniger Boden. Treppen sind in felsigen Passagen, die höher führen, weit über die Wipfel des Urwaldes voller Palmen und anderer Giganten. In der Ferne das Meer, befreiend weit und schön, die späte Sonne fast am Horizont. Ich eile höher, den Gipfel vor Augen; erreiche ihn zu Beginn der Dämmerung, finde dort eine offene Hütte mit Bett, Speis und Trank. Es scheint bereitgestellt für mich, als wäre ich erwartet worden. Aber ich bin allein, kann nicht schlafen, höre in die Nacht mit vielen Geräuschen, spüre den feinen Wind bis es mich fröstelt. Im fahlen Licht des Vollmonds schlafe ich im Sitzen ein und begegne nun kleinen wunderschönen Menschen mit gelblicher Haut, gebräunt von der Sonne. Sie lächeln mich an, tanzen um mich, bringen mir berauschende Getränke. Eine schöne Frau steht vor mir, lächelt, winkt mir zu. Ich möchte mit ihr gehen, finde sie sehr anziehend, ihre Anwesenheit erregt mich. Als ich meine Hand öffne, nach ihr greife, weicht sie aus, geht weiter und ich muss ihr folgen, in ein Dorf voller Kinder. Lachende Gesichter, die mich bestaunen, betasten, festhalten. Ich blicke zu der schönen Frau, die sich weiter entfernt, rasendschnell immer älter wird. Die Kinder halten mich und so entschwindet am Dorfrand eine alte Frau. Die Kinder wachsen schnell und junge Männer tanzen nun mit schönen Mädchen. Ich will mittanzen, aber werde nicht gesehen, bin ein Schatten in einer fröhlichen Welt, die mich nicht teilnehmen lässt. Zuschauer in einer fremden Kultur lebensfroher Menschen.
Mit diesem Bild erwache ich am frühen Morgen, bin wieder allein auf dem Gipfel. Erlebe den Sonnenaufgang über dem Meer, am weiten Horizont blaugrünen Wassers. Die ersten Strahlen wärmen mich wohlig. In der Hütte finde ich frische Früchte, exotisch saftig, verlockend süss. Geniessend blicke ich um mich, überall nur Meer, erkenne die Grenzen der Insel. Der Weg der mich herführte ist verschwunden, zugewachsen über Nacht, ein neuer bietet sich an, hinab zur anderen Inselseite.
Wer führt mich hier? Wer legte den Weg an? Unheimlich wirkt das Ganze auf mich. So steige ich zwangsläufig abwärts, erreiche die Baumgrenze, tauche ein in tiefen Wald, finde eine Quelle und folge dem Bach. Er führt mich direkt zum Meer, wo ich mich erschöpft in den Sand falle, die Augen schliesse und warte.
Nach einer langen Weile öffne ich diese wieder und sehe blinzelnd vor mir das sich zurückziehende Meer, die Ebbe vor der Rio Formosa, am Strand der Algarve. Baumreste im Wasser, die Reste meines Flosses, gestrandet im Sand. Quallen erlitten das gleiche Schicksal, neue Muschelschalen gar handtellergross, ein totes Delphinbaby angespült von der Flut, anderes Treibgut von Schiffen und vom Sturm ins Meer gewehtes Inventar. Treibgut wie ich, der hier neu gestrandet nach weiter Reise, sich wiederfindet im feinen Sand einer vertrauten Welt.
Wo sind sie geblieben, die Kinder, die schöne Frau, die Alte, die Insel? In den hinwegrollenden Wellen sehe ich sie tanzen, ganz kurz nur, für einen sanften Moment und verstehe.


Peter Burger
17.10.2003
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