Der kleine lächelnde Buddha

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Der kleine lächelnde Buddha

Beitragvon Beobachter » 25.12.2010, 16:43

Der kleine lächelnde Buddha

Die Canal Street ist die Straße in Manhattan, die mir am meisten zusagt. Nicht nur, weil auf ihr und durch sie die schweren Mactrucks von der Manhattan Bridge zum Holland Tunnel fahren, und nicht nur, weil Laden an Laden hängt, wo es alles, was man braucht, zu kaufen gibt ­ die Canal Street ist ein Stück von Chinatown.

In Chinatown will ich mir einen kleinen lächelnden Buddha kaufen, wie vor zwanzig Jahren schon einmal.

In den engen Seitengassen südlich der Canal Street ist das nicht schwer. Die Läden sind mit Asiatika vollgestopft. Buddhas von Fingernagelgröße bis überlebensgroß in Jade, Elfenbein, Porzellan und zu jedem Preis. So gesehen also keine Schwierigkeit. Aber ich suche einen ganz bestimmten Buddha, eine ganz bestimmte Buddhafigur.

Nach einigen Läden will ich die Suche schon aufgeben, da entdecke ich, ganz unten in einer staubigen Vitrine, »meinen« Buddha.

Die Chinesin, die mich beobachtet und mir mehrmals schon angeboten hat zu helfen, lächelt, als ich auf die Vitrine deute, verliert das Lächeln aber sofort, als ich ihr »meinen« Buddha zeige.

Nur widerwillig öffnet sie die Vitrine, greift den kleinen Buddha heraus. Ich nicke. Den will ich. »Aber das ist nur Plastik«, sagt sie. »Buddha ist auch in Plastik«, sage ich. Fast angewidert kassiert sie die ,2, Dollar, die der kleine lächelnde Buddha kostet. Das chinesische Speiselokal, in dem ich sitze, ist ohne Goldlöwenpomp und Laternchenflitter. Kahle Wände, an denen nur einige Textbänder hängen. Die chinesischen Schriftzeichen sind von so einfacher Schönheit, dass ich mich nicht traue, mir Notizen zu machen, ich habe Hemmungen, in mein Notizbuch zu schreiben.

Ich bin der einzige Gast in dem Lokal. Die Bedienungen, der Chef, die Köche sitzen an einem großen runden Tisch und essen.

Ich fasse in meine Jackentasche und berühre, betaste meinen kleinen lächelnden Buddha.

Wie lange habe ich daran nicht mehr gedacht. Und hier, jetzt, fällt es mir ein:

Heilige Messe, feierliches Hochamt. Te Deum. Ich, Ministrant, schwinge das Weihrauchfass, vergesse vielmehr, das Weihrauchfass zu schwingen, kann nicht, kann nicht mehr das Lachen unterdrücken, es schüttelt mich, ich zittre vor Anstrengung, das Lachen zurückzuhalten, auch die Mitministranten krümmen sich, halten das Lachen nicht mehr, der Herr Pastor, glutrot im Gesicht, mein Gott, was wird das wieder werden in der Sakristei, das Donnerwetter, sein Gebrüll, der Herr Pastor hat doch zu hohen Blutdruck, nehmt Rücksicht, der Herr Pastor wartet immer noch auf das Velum, das ihm vom Kirchendiener um die Schulter gelegt werden soll, aber das ist es: Der Kirchendiener kniet hinter dem Herrn Pastor, die Arme ausgebreitet, das Velum gespannt, aber, er kann nicht, er kommt nicht mehr hoch aus der Kniebeuge, das ist es, was uns Ministranten, wir haben es längst gesehen, nur der Herr Pastor nicht, der wartet immer noch auf das Velum, wutrot, dass der Kirchendiener ihm das Velum umlegt, aber der klebt am Boden, was uns vor Lachen schüttelt, sein Gewicht zieht ihn nach unten, hält ihn da, bis der Herr Pastor sich umdreht, dem Kirchendiener das Velum aus den Händen nimmt und es sich selbst umlegt. So ein entsetztes, schuldbewusstes, verzweifeltes Gesicht habe ich noch nie gesehen wie das des Kirchendieners, der sich, die Hände frei jetzt, mit beiden Händen vom Boden abdrückt, aufrichtet und in die Sakristei wankt ...

Ich nehme den kleinen lächelnden Buddha aus der Jackentasche, halte ihn in der Nische meiner hohlen Hand: der kahle Kugelkopf, die breitgezogenen Lippen, sein Lächeln, der Fassbauch, die Plattfüße ...

So, genau so hat unser Kirchendiener ausgesehen. Und wir haben ihn auch immer nur den »lächelnden Buddha« genannt.

Alfred Gulden
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Re: Der kleine lächelnde Buddha

Beitragvon bob » 25.12.2010, 17:25

Ein Lächeln kostet nichts und bringt doch so viel.
Es bereichert den Empfänger und den Geber.
Es ist vielleicht nur kurz, doch die Erinnerung daran oft unvergänglich.
Keiner ist so reich, um darauf verzichten zu können.
Und keiner ist zu arm, daß er es sich nicht leisten könnte.
Es bringt Glück und ist ein Zeichen von Freundschaft.
Es bekommt erst dann seinen Wert, wenn es verschenkt wird.
Sollte der andere einmal kein Lächeln mehr zur Verfügung haben,
überlasse ich Ihm eins von meinen,
denn niemand braucht so sehr ein Lächeln, wie der, der keins mehr übrig hat.

(aus China)
bob
 
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